Endstation Kabul
Mann lag in seiner ärmlichen Hütte auf dem Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Wir hoben ihn vorsichtig hoch und brachten ihn zum Wagen, dabei schrie er mehrmals auf. Er hatte besonders intensive Schmerzen im Nierenbereich. Es war gar nicht so einfach, ihn in eine Lage zu bringen, in der er es eine Weile aushalten würde. Langsam und vorsichtiger als sonst fuhren wir zurück ins Camp, um Erschütterungen zu vermeiden und Mustafas Vater nicht unnötig Schmerzen zu bereiten. Im Camp setzten wir ihn vor dem Sanitätszelt ab und verständigten die Ärzte. Sie waren natürlich nicht sonderlich begeistert, halfen dann aber. Bei der ersten Untersuchung stellte sich sehr rasch heraus, dass der alte Mann Nierensteine hatte. Die waren schon ziemlich groß und mussten ihm höllische Schmerzen bereiten. Mein Teamführer sprach mit den Ärzten, die sich daraufhin bereiterklärten, die Behandlung durchzuführen. Der alte Mann sah uns dankbar an, und auch Mustafa dankte uns mehrfach.
Am 16. September 2002 sollten wir alle einen freien Tag bekommen. Nichts lag an, die Patrouillen meldeten keine Vorkommnisse. Seit ein paar Tagen war es sehr ruhig in Kabul. Die »Show of force« in den Tagen nach den Feierlichkeiten zu Ehren Massuds hatte also Wirkung gezeigt, zumindest im Stadtbereich. Da niemand wusste, wie lange diese Ruhe halten würde, entschied die niederländische OPZ, möglichst vielen Kommandosoldaten etwas Ruhe zu gönnen. Pflichtbewusst meldete ich mich bei meinem deutschen Vorgesetzten, um ihn über meinen Leerlauf bei den KCT zu informieren. Das hätte ich mal lieber bleiben lassen.
Mein alter deutscher Disziplinarvorgesetzter der Aufklärungskompanie hatte etwa vor einer Woche das Land verlassen. Der Neue, Hauptmann Fiebig, wusste wohl nicht so recht, was er von mir halten sollte. Er verhielt sich relativ kühl und distanziert. Diesem Hauptmann ging es offensichtlich gegen den Strich, kaum Zugriff auf einen Soldaten seines Bereichs zu haben, da dieser ständig »Extratouren« mit den niederländischen Kommandos durchführte. Bei ihm musste es streng nach Vorschrift laufen. So ein Fall wie ich kam aber in den Vorschriften nicht vor. Für mich kam aber auf gar keinen Fall in Frage, freiwillig zu kapitulieren. Meine »Familie«, die niederländischen Kommandos, sollte in dieser Besetzung noch bis Anfang November in Kabul bleiben. So lange wollte ich auf alle Fälle dabei sein. Sonst hätte ich das Gefühl gehabt, ich lasse meine Kameraden im Stich. An all das dachte ich, als ich nun vor meinem Vorgesetzten stand und ihm erklärte, dass die KCT-Soldaten morgen einen Tag frei bekommen sollten. Er schüttelte den Kopf und meinte: »Das geht nicht! Ich kann im Moment auf keinen Mann verzichten.« Aha, dachte ich nur. Dabei verzichtet er doch schon die ganze Zeit auf mich! Was stand denn Wichtiges an, dass er mich auf einmal so dringend brauchte?
Die Aufklärungskompanie war zu diesem Zeitpunkt, wie der Rest des Kontingents, gerade im Wechsel begriffen. Fast täglich landeten Transportmaschinen der Bundeswehr auf dem KIA, brachten neue Soldaten und flogen andere aus. Auch die deutsche Aufklärungskompanie hatte am heutigen Tag drei neue Soldaten bekommen. Es waren Angehörige der Humint-Kräfte, die am nächsten Tag ihre Einführungstour durch Kabul machen sollten. Weil er nicht genug Soldaten zur Sicherung hatte, sollte ich die drei begleiten und einweisen. Na prima. Da hatte ich mal einen Tag frei, und schon kam ein »wichtiger Spezialauftrag« dazwischen. Aber was blieb mir anderes übrig? Disziplinarisch war ich ja Hauptmann Fiebig unterstellt. Es war also sein gutes Recht, mich für diesen Job heranzuziehen. Also fragte ich, wann es denn morgen losgehen und wo ich mich einfinden solle. Dann ging ich betrübt in die »Snedder-Lounge«, wo der Rest meines Teams war.
»Jungs, ich kann morgen leider nicht mit euch in den PX zum Einkaufen fahren. Spezialauftrag von den Deutschen«, erklärte ich ihnen. Sie schauten mich entgeistert an. Mein Teamführer fragte: »Sollen wir versuchen, dich bei deinem Chef freizubekommen? Wir können es wenigstens versuchen.« »Nee, lass mal. Das ist keine gute Idee, glaube ich«, beschwichtigte ich. Mein Standing bei dem deutschen Hauptmann war eh nicht gerade rosig. Wenn sich jetzt mein niederländischer Chef eingeschaltet hätte, wäre die Sache vermutlich noch komplizierter geworden. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mich bei den Niederländern ausgeheult zu haben, um mich zu
Weitere Kostenlose Bücher