Endstation Mosel
Stadler mit einer jungen Frau zurückkam. Er stellte sie als Ärztin vor.
Sie maß Johan den Blutdruck, leuchtete ihm in die Augen und stellte ihm Fragen nach verschiedenen Dingen, auf die er ebenso wenig wie zu denen nach Ort, Tag und Uhrzeit eine Antwort wusste. Endlich war eine Frage dabei, die Johan mit einem klaren Ja beantworten konnte. Sie hatte sich danach erkundigt, ob Johan Hunger habe.
Die Wirtin servierte Frühstück und meinte, dass in ihrer Pension noch nie jemand am Spätnachmittag Frühstück bestellt habe, selbst nicht nach dem Mehringer Weinfest, wo es oft hoch her gehe.
Der Polizist mit den polierten Uniformknöpfen saß Johan gegenüber und trank Kaffee. Sie waren allein in einem Raum mit wenigen Tischen und Bildern mit Mosel- und Weinmotiven an den Wänden, die Johan an das in seinem Zimmer erinnerten.
Später räumte die Frau den Tisch ab. Ein schwergewichtiger Mann betrat den Raum und stellte sich als Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes vor. Er bot Johan eine Zigarette an, die dieser zögernd annahm. Schon nach dem ersten Zug überkam ihn ein starker Hustenreiz und er drückte die Glut im Aschenbecher aus.
»Haben Sie sich verschluckt?«, erkundigte sich der Wasserschutzpolizist.
Johan fuhr sich mit beiden Händen an die Schläfen. Er schüttelte den Kopf: »Da ist alles so durcheinander.«
»Das gibt sich wieder«, versuchte ihn der korpulente Mann zu beruhigen. »Sie stehen noch unter einem leichten Schock. Die Ärztin glaubt, dass sich das in ein paar Tagen wieder geben wird. Sie besucht Sie später noch einmal und bringt Ihnen Medikamente.«
Der Mann zog an seiner Zigarette, blies den Rauch zur Seite und fuhr fort: »Das hier ist nur ein informelles Gespräch. Möchten Sie, dass wir Angehörige von Ihnen benachrichtigen oder wollen Sie das selbst tun?«
Johan überlegte, seine Frau war tot, sein Sohn studierte in Rotterdam. Sie hatten sich lange nicht mehr gesehen. Was sollte er ihm erzählen?
»Überlegen Sie es sich«, sprach sein Gegenüber weiter. »Wo ist Ihr Schiff versichert?«
»Hapag-Lloyd.«
Der Mann erhob sich: »Ich werde alles Nötige in die Wege leiten, Herr Verbeek. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
*
Am Dienstagmorgen setzte Walde gegen acht Kaffee auf. Er mochte es, wenn er vom Bäcker zurück kam und die Wohnung von Kaffeeduft erfüllt war. Mit Doris’ Erwachen war so früh noch nicht zu rechnen. Unten im Treppenhaus schob er das Rad aus dem Flur in den von hohen Mauern umgebenen Garten. Die zusammengefaltete Puppe klemmte noch unter dem Bügel des Gepäckträgers. Könnte Grabbes Baustellengeschichte vom gestrigen Abend ein Nachspiel haben? Falls sich einer der Schaulustigen nach dem Anlass der Polizeiaktion erkundigte oder die Presse Wind von der Angelegenheit bekommen hatte, so war er aus der Schusslinie. Er hatte heute noch Urlaub. Das Handy war abgestellt und würde es auch bleiben.
Der Tag würde warm werden, vor der Tür regte sich kein Lüftchen.
Beim Bäcker kaufte er zu viele Brötchen und Croissants. Wer zu viel zu essen kauft, kann auch noch Blumen mitbringen, dachte Walde. Er kaufte bei einem Blumenhändler, der gerade seinen Laden aufschloss, eine Calla.
Die schmale Vase mit der weißen Blume stellte er neben den Brotkorb. Er deckte den Frühstückstisch fertig und schlich zum Schlafzimmer. Zu seiner Überraschung war das Bett leer. Doris kam bereits gestylt und angezogen aus dem Bad.
»Ich bin spät dran«, sie gab ihm einen flüchtigen Kuss.
»Wir können aber noch frühstücken?«
»Oh, das sieht toll aus, aber ich hab’ um neun eine Stadtführung; ich muss in spätestens zehn Minuten in der Tourist-Information sein.«
»Mensch, das ist aber blöd.« Walde war enttäuscht.
»Ich hätte den Wecker gestellt, wenn ich noch dazu gekommen wäre, aber du warst ja heute Nacht so stürmisch …« Sie warf ihm lächelnd eine Kusshand zu und verschwand durch die Korridortür.
Lustlos schenkte sich Walde Kaffee ein und griff zur Tageszeitung. Über die Havarie der Populis wurde knapp in einer Spalte berichtet. Ausführlicher Bericht folgt, hieß es da. Vom » Puppenmord « auf der Baustelle war nirgends die Rede. Das wäre ja noch schöner, dachte Walde, war aber dennoch erleichtert.
Den restlichen Kaffee füllte er in eine Warmhaltekanne und ließ den Tisch gedeckt.
Dabei drapierte er die Blumenvase vor Doris’ Teller und legte die Zeitung ordentlich gefaltet daneben.
In den Geschäftsstraßen der Innenstadt war noch wenig
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