Endstation Mosel
Ob sie im dichten Ufergestrüpp hängen geblieben waren, im vom Hochwasser angeschwemmten Morast dümpelten oder von den Gärgasen in ihren Eingeweiden erst dicht unter die Oberfläche aufgetrieben worden waren, seinem geübten Blick entging keine Leiche.
Waren es zuerst’ teils von ihm selbst noch recht amateurhaft aufgenommene Bilder der Leichen, wie sie zumeist auf den damals noch Leinpfad genannten späteren Radwegen entlang des Flusses lagen, so waren es heute oft regelrechte Serien von der Auffindung der Leiche im Wasser über verschiedene Phasen der Bergung bis hin zu Fotos aus der Pathologie, die ihm dank seiner guten Kontakte zu Dr. Hoffmann in gestochen scharfen Abzügen überlassen wurden.
Auf diese Weise hatte er es inzwischen zu einer Sammlung gebracht, die wahrscheinlich ihresgleichen auf der Welt suchte. Schon als ihm der erste Gedanke an eine Veröffentlichung kam, wurde ihm klar, dass kein Verlag ein solches Buch herausgeben würde. Erst das Internet eröffnete ihm nie geahnte Möglichkeiten.
Stadler hatte Erkundigungen über Jo Ganz eingezogen und war fündig geworden. Als erstes hatte er erfahren, dass Jo maßgeblich an der Entdeckung des großen Goldmünzfundes zwei Jahre zuvor beteiligt gewesen war. Von da an war es kein Problem mehr, jemanden zu finden, der wusste, dass Jo Ganz tatkräftig bei der Auffindung der Reste einer zweiten Römerbrücke nördlich von Trier mitgeholfen und dafür auch etliche Tauchgänge unternommen hatte. Sein Verdacht erhärtete sich: Der Mann von der Weinprobe und der Taucher an der Populis waren höchstwahrscheinlich identisch.
Stadler nahm das Telefon und gab der Zentrale Anweisung, ihn mit Jo Ganz’ Wohnung in Pfalzel zu verbinden. Das Gespräch wurde umgehend durchgestellt.
»Jaaaah, Ganz.«
»Guten Abend Herr Ganz, hier Stadler von der Wasserschutzpolizei, wir hatten kürzlich ein gemeinsames Vergnügen im Palais.«
»Mhm?«, brummte es zurück.
»Bei der Weinprobe. Sie können sich vielleicht nicht mehr an mich, aber ich mich …«
Er wurde barsch unterbrochen: »Ich trinke nicht!«
»Aber Herr Ganz, da fällt mir der Spruch ein, lieber ein stadtbekannter Trinker als ein anonymer Alkoholiker«, Stadler lachte bemüht.
»Den finde ich gar nicht lustig.«
»Ich möchte Sie sprechen«, kam Stadler zur Sache.
»Ich dachte, das tun Sie bereits.«
»Persönlich, ich meine, nicht am Telefon«, Stadler kam ins Stottern.
»Ich wüsste nicht, warum ich mich mit Ihnen treffen sollte.«
»Herr Dr. Ganz, ich möchte was klären.«
»Ganz reicht, den Doktor können Sie weglassen.«
»Okay, Sie legen keinen Wert auf akademische Titel.«
»Ich habe keinen akademischen Titel!«
Stadler hielt inne, dann seufzte er: »Spreche ich mit Herrn Joachim Ganz?«
»Nein, hier ist der Sohn, Philipp Ganz.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, regte sich Stadler auf.
»Sie haben nicht danach gefragt und was Ihr vertrauliches Du angeht, ich wüsste nicht, dass wir gemeinsam die Schulbank gedrückt oder im Knast gesessen hätten.«
Stadler knallte den Hörer auf den Apparat. Dabei stieß er sein Modellboot WSP 16 vom Tisch. Das Krachen beim Aufprall auf den Linoleum verriet ihm, dass einiges kaputt gegangen sein musste. Er blieb noch eine Weile sitzen, bis er sich soweit gefasst hatte, dass er unter seinen Schreibtisch abtauchen konnte, um die Trümmer seines geliebten Bootsmodells aufsammeln zu können.
*
Walde war nach einer halben Stunde soweit gekommen, dass er die Personalien von Johan Verbeek aufgenommen hatte und feststellen konnte, dass kein Dolmetscher nötig war und auch kein Anwalt gewünscht wurde.
Ihm gegenüber, nur durch einen quadratischen Tisch getrennt, saß ein Häufchen Mensch, aus dem jeder Lebensgeist gewichen zu sein schien.
Grabbe notierte am Nebentisch das Wenige, was es festzuhalten gab.
Walde war hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit dieser offensichtlich hilfsbedürftigen Kreatur, die aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest eine Mitschuld am Tod von fünf Menschen hatte. Der Mann saß zusammengesunken da. Hatte ihn der Verlust seines Schiffes oder die Tragödie seiner Passagiere so mitgenommen?
»Sie haben also keine Erinnerung mehr daran, wie es zu der Havarie gekommen ist?«
Verbeek schüttelte den Kopf, auf dem die kurzen graublonden Haare ungekämmt in alle Richtungen abstanden.
»Und woher stammen die Leute, die wir tot aus einem Container der Populis geborgen haben?« Auch diese Frage
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