Endstation Mosel
jemand ist in Madame Goederts Yacht verschwunden. Harry will sich die Sache genauer ansehen.«
*
Professor Dr. Eberhard Sieblich saß im Salon von Madame Goedert und nippte an seinem Gin. Es war nicht sein erster Besuch auf der Yacht, und doch erstaunte ihn immer wieder die Größe des Salons. Hier konnten gut und gern ein Dutzend Leute zusammen kommen. Na ja, er hatte schon auf größeren Yachten geweilt, in Dubai auf viel größeren sogar.
Madame Goedert kam mit einem Cocktail von der Bar zurück. Sie nahm nicht wie gewöhnlich ihm gegenüber Platz, sondern in der entgegengesetzten Ecke der rundum laufenden cremefarbenen Ledergarnitur.
»Sie können sich nicht vorstellen, Herr Professor, wie Leid mir die ganze Sache tut,« sie rührte mit einem vielfach gewundenen Strohhalm in ihrem Drink.
Eberhard Sieblich beobachtete, wie sich das Blau der oberen Schicht mit der darunter liegenden gelben Flüssigkeit zu einem giftigen Grün vermischte. Sie trank. Winzige Zuckerpartikel klebten an ihren Lippen. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf: »Das konnte niemand ahnen, dass so was passiert.«
Sieblichs Blick fiel auf die Ohrringe, deren schwere Perlen unter den blonden Haaren hin und her schwangen. Ließen sie sich öffnen? Hatte sie die Zyankalitablette vielleicht darin versteckt? Sie hatte ihm einmal in einer schwachen Stunde erzählt, dass sie sich damit die Möglichkeit offen hielt, ihrem Leben jederzeit ein rasches Ende setzen zu können. Oder war die Giftpille in dem dicken Goldanhänger ihrer Halskette deponiert oder in dem Siegelring am Mittelfinger?
Jedenfalls ließ er Madame nicht aus den Augen, wenn sie ihm einen Drink einschenkte. Gin schmeckte ihm nicht, aber er hatte den Vorteil, klar zu sein, und minimierte so die Möglichkeit, etwas unterzumischen.
Vielleicht hatte sie ihren Mann auf diese Art ins Jenseits befördert. Er war weit älter als sie gewesen. Da war der Kollege beim Ausstellen des Totenscheins sicherlich nicht zimperlich gewesen. Das Ganze war über zwanzig Jahre her.
Er schaute auf ihren faltigen Hals. Wie er gehört hatte, sollte sie eine Schönheit gewesen sein. Jetzt war sie Mitte siebzig und er hatte ihr ein paar Jahre zuvor die Gesichtshaut gestrafft. Als chirurgisches Allroundtalent gingen ihm auch Schönheitsoperationen leicht von der Hand. Hätte er damit soviel verdienen können wie mit den Transplantationen, wäre er bestimmt auch auf diesem Gebiet sehr weit gekommen.
Es war mehr eine Gefälligkeit gewesen, diese Gesichtshautstraffung, die er einer Vertreterin der Luxemburger Highsociety angedeihen ließ. Es ging damals um seinen Lehrstuhl an der neu gegründeten Luxemburger Universität. Eigentlich hatte Madame Goedert keinen Einfluss auf die Besetzung des Postens gehabt, andererseits konnte sie sich in praktisch alle Angelegenheiten des kleinen Landes einmischen. Sie speiste mit Ministern, mit der Großherzogin war sie per Du. Der Großherzog teilte ihre Jagdleidenschaft und war oft zu Gast, wenn sie in ihr Revier im Norden des Landes einlud. Dort am kleinen Grenzfluss Our gegenüber Belgien hatte sich eine urtümliche Landschaft erhalten mit Tieren, die man sonst in ganz Mitteleuropa nicht mehr vor die Flinte bekam.
»Ein furchtbarer Unfall war das, ich bin immer noch ganz erschüttert.« Madame stellte ihr Glas ab. Die schweren Goldarmbänder rasselten an der Kante des Mahagonitisches entlang.
»Ja, Sie sagen es«, antwortete der Professor mit deutlich weniger Pathos in der Stimme.
»Ich möchte nicht mehr weitermachen«, sagte Madame Goedert.
»Mir geht es ebenso, aber die Umstände lassen uns keine andere Wahl.« Eberhard Sieblich sprach ruhig. Bei seiner Argumentation ließ er stets Fakten und Logik den Vortritt vor Emotionalität.
»Wie soll ich das verstehen?« Madame Goederts Worte waren von einer Spur Empörung unterlegt.
»So wie ich es sage. Drei Patienten aus Bahrein warten in der Klinik auf ihre Spendernieren. Sie sind vorbereitet. Einer davon ist bereits vor Wochen mit seinem ganzen Tross angereist. Sie können nicht zurückgeschickt werden.«
»Dann müssen Sie anderweitig Ersatz finden, Herr Professor, tut mir Leid!«
Sieblich schüttelte den Kopf: »Madame, ich habe mich bisher über Jahre auf Sie verlassen können. Ich kann verstehen, dass Ihnen die momentane Situation sehr unangenehm ist, mir geht es nicht anders. Aber die Lage muss bereinigt werden, danach setzen wir uns gerne nochmals zusammen und sprechen in Ruhe über die künftige
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