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Endstation Mosel

Endstation Mosel

Titel: Endstation Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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Pflaster fand, das er sich quer unter das rechte Auge klebte. Mit einem violetten Filzstift malte er auf seine linke Schläfe vom Mützenrand bis in Augenhöhe drei untereinander liegende Kreuze. Damit hoffte er, sich für den Notfall zunutze machen zu können, dass sich die meisten Zeugen von auffälligen Nebensächlichkeiten so ablenken ließen, dass sie sich später an wesentliche Merkmale nicht mehr erinnern konnten.
    Walde schlich zwischen den Bäumen bis zu einem Weg, der zum Haupteingang von Steineroth führte.
    An den Taufbecken stand nur noch ein Raucher. Nach den Lederpantoffeln und dem längs gestreiften Bademantel zu urteilen, konnte es der gleiche alte Mann sein, mit dem sich Harry am Vormittag unterhalten hatte. Walde stellte sich neben ihn und kramte den Tabak aus der Tasche.
    Nach einer Weile sagte sein Nebenmann: »Scheiß Wetter heute.«
    Walde entschied sich spontan, in einer Art Singsang zu antworten: »Ist nirrt so schlerrt wie jestern.«
    In diesen Akzent fiel sein Vater früher jedes Mal, wenn er von seinem Meister erzählte, einem in den zwanziger Jahren vor den Sowjets geflüchteten Optiker, der bald darauf auch aus Deutschland emigrieren musste.
    »Was für ein Landsmann sind Sie denn?«, fragte der Raucher.
    »Deitsch, schon was meine Großmutter war, Familie immer deitsch jewesen«, Walde machte eine Handbewegung und verlor dabei einen Teil des Tabaks. »Und Oleg findet hier bald ruhijes Plätzchen auf Friedhof in alter Heimat.«
    Walde spürte, wie sein Gegenüber unruhig wurde und ihn verstohlen beobachtete.
    »Dann gut’ Nacht«, die Neugier erlosch ebenso schnell wie die Kippe in dem Gemisch aus Matsch, Filter und Tabak.
    Walde leckte die Gummierung und winkte dem Davonschlurfenden mit der krummen Zigarette nach. Er ärgerte sich über seinen dämlichen Auftritt. Was war über ihn gekommen? Sein Verhalten kam ihm respektlos vor. Würde er sich jetzt besser fühlen, wenn er dem Mann einen italienischen Akzent vorgegaukelt hätte? Er dachte an die Standardbeschreibungen in vielen schlechten Polizeiberichten: südländisches Aussehen, südländischer Akzent.
    Doch das lag jetzt alles hinter ihm, er hatte soeben die wohlgeordnete Welt der Polizei, der Vorschriften und Kleinkariertheit verlassen.
    *
    Walde steckte den Tabak ein und betrat durch die Schwingtür die Eingangshalle. Zu seiner Linken sprach hinter einer Glasscheibe eine Frau mit Kopfhörer in ein dünnes Mikrofon. Vor ihr blinkten kleine Lämpchen auf einer Anzeigetafel. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und widmete sich wieder der Telefonvermittlung.
    Von innen sah das Haus weit freundlicher aus, als es der kantige Backsteinklotz erwarten ließ. In der Luft hing der typische Geruch nach Desinfektionsmitteln, verkochtem Essen und Krankheit.
    In der Mitte des hellen Foyers plätscherte Wasser über eine große Bronzeplastik. Sie stand in einem reich begrünten Becken, um das orangefarbene Sitzschalen gruppiert waren.
    Walde musste den Kopf drehen, um den gesamten Raum überblicken zu können. Die Glasbausteine in seiner Brille waren zwar aus Fensterglas, schränkten dennoch sein Sichtfeld erheblich ein.
    Das Foyer war menschenleer. Neben den Fahrstühlen las Walde die Tafel mit den Wegweisern zu den Stationen. Station 4b, Innere, vierter Stock, Zimmer Nummer 431 – sollte es jemand wissen wollen, würde das seine genuschelte Adresse sein.
    Hinter der Station mit dem Buchstaben F war als Chefarzt Prof. Dr. Sieblich eingetragen. Nebengebäude stand in Klammern dahinter.
    An einer der Stuhllehnen hing ein dunkler Holzstock. Den hatte wohl ein Besucher der Ambulanz hier vergessen. Vielleicht ging es ihm aber auch nach der Behandlung bereits so gut, dass er auf die Gehhilfe verzichten konnte. Oder hatten die Ärzte den Stock als Indiz für ihre Heilkunst hingehängt? Walde konnte sich erinnern, einmal in einer Wallfahrtskapelle eine umfangreiche Sammlung zurückgelassener Krücken gesehen zu haben.
    Ein Klingeln kündigte die Ankunft eines Fahrstuhls an. Walde schnappte sich den Stock und trat durch die auseinandergleitenden Türen in die Kabine. Sie war viel länger, als er erwartet hatte. Es schien sich um einen Bettenlift zu handeln.
    Mit dem dunklen Gummi am Ende des Stocks zielte Walde auf die Knopfleiste. Beim dritten Versuch traf er die Taste Ul. Die Abfahrt reichte, um einen der durchsichtigen Handschuhe überzustreifen. Der Lift wurde abgebremst.
    *
    Das rote Signallämpchen am Telefon zeigte Lilian Goedert, dass wieder

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