Endstation Nippes
nehmen, meine Kopfschmerzen kommen wieder.« Sie wühlte in ihrer Tasche herum. »Und dürfte ich Ihre Toilette benutzen?«
Wäre Frau Grimme nicht Frau Grimme gewesen, ich hätte nach dieser kleinen Nummer gedacht, die muss was einwerfen. Aber Drogen passten beim besten Willen nicht zu ihr. Schon eher, dass es ihr tatsächlich peinlich war, bei fremden Leuten aufs Klo zu gehen.
Ich drückte die Stopp-Taste auf dem Rekorder, zeigte ihr den Weg zur Toilette, ging zum Kühlschrank, holte die Wasserflasche heraus und rief ihr hinterher: »Ich habe nur noch kaltes. Oder möchten Sie Leitungswasser?«
»Oh, dann lieber Leitungswasser, danke.«
Ich ließ das Wasser anlaufen, füllte einen Krug, nahm mir auch selbst ein Glas und brachte alles an den Tisch. Schenkte ein und wartete darauf, dass sie zurückkam. Sie brauchte ganz schön lange, und ich hoffte inständig, dass sie danach das Fenster öffnete.
Als sie wieder auftauchte, wirkte sie noch verlegener als vorher und nuschelte: »Ich habe das Fenster geöffnet, ist das in Ordnung?«
Jetzt tat sie mir fast leid. Ich versicherte ihr, das sei genau richtig gewesen. Nachdem sie ihre Tablette runtergespült hatte, ging ich erneut auf Aufnahme.
»Welche Voraussetzungen mussten Sie denn mitbringen, oder welche Bedingungen mussten Sie erfüllen, um Pflegeeltern werden zu können?«
»Lassen Sie mich nachdenken, das ist ja nun schon ein paar Jahre her. Nun, wir mussten natürlich ein festes Einkommen haben, elterliche Erfahrung, wir durften nicht vorbestraft sein …« Kleines Höhere-Tochter-Lächeln. »Wir mussten, wenn ich mich recht erinnere, nachweisen, dass wir genügend Wohnraum zur Verfügung hatten. Wir haben auch anfangs an einem Kurs teilgenommen. Ja. Das war es.«
»Werden Sie denn regelmäßig überprüft? Oder kommt jemand vorbei, um zu sehen, wie es den Kindern geht?«
»Ja, das war im ersten Jahr so, aber jetzt weiß das Jugendamt, was es von mir zu halten hat, nicht wahr?« Wieder dieses Oberschichtlächeln. Sie stand auf. »Ich müsste jetzt wirklich gehen.«
»Ja, natürlich, vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
»Ich hoffe, ich konnte Ihnen helfen?«
»Ja, absolut! Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich den Sendetermin weiß.«
Sie nickte bloß. Die meisten Leute, die ich interviewe, möchten sich dann auch im Radio hören, deshalb ist es ihnen wichtig, den Sendetermin zu erfahren. Frau Grimme aber machte eher den Eindruck, als habe sie schon vergessen, dass das, was sie mir gerade erzählt hatte, irgendwann im Radio laufen würde. Ich brachte sie zur Tür, und als ich sie die Treppen hinunterstöckeln hörte, seufzte ich laut. Die Frau gab sich sicher alle erdenkliche Mühe mit den Kids, und vermutlich mochte sie die Kleinen auch wirklich. Das Problem war: Ich mochte Frau Grimme nicht. Und auch nicht ihre Art, über die Kinder zu reden. Sie hatte etwas – ja was? Ich musste einen Moment überlegen, dann hatte ich’s: Sie hatte etwas Unechtes, Gekünsteltes. Das war es, was mich so irritierte. Oder mehr noch: abstieß.
Rosa kam angeschlichen und peilte die Lage. Dann hockte sie sich wehklagend vor ihren leeren Fressteller. Ich schnitt gerade das übrige Rindergulasch für sie auf, als das Telefon klingelte. Paul, mein großer Bruder, schlug mir via Anrufbeantworter vor, am Samstag zu den Eltern in die Eifel zu fahren. Ich schaufelte das Gulasch auf Rosas Teller, wusch mir die Hände dreimal mit glühend heißem Wasser und einer halben Tonne Seife, denn ich hasse den Geruch von rohem Fleisch, und rief schließlich Paul zurück. Sagte ihm, dass ich sein Angebot sehr gern annahm. In das Kaff, in dem unsere Eltern seit der Verrentung wohnen, komme ich nämlich ohne Auto nur per Bahn und anschließender langer Taxifahrt, und das ist mir oft zu aufwendig und fast immer zu teuer. Dann fiel mir ein, dass ich meinen Liebsten kaum noch gesehen hatte, und ich fragte Paulemann, ob er bereit wäre, Stefan mitzunehmen. Es war eine rhetorische Frage, denn die beiden verstehen sich bestens. Mein Liebster ist, genau wie Paul, ein alter Linker, und wenn er und mein Bruderherz in den Erinnerungen an Hausbesetzungen, Demos und Schlachten mit der Polizei schwelgen, vergisst Stefan völlig, dass er schon vor Längerem Buddhist geworden ist.
Wie erwartet, war auch Stefan von der Idee begeistert. Er liebt meine Eltern, und sie mögen ihn so gern, dass sie ihm sogar das »Esojedöns« nachsehen. Womit sie den Dharma meinen. Ich beschloss, mich mit meinem MP
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