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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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der Vater es nur noch mit den Jungen. Der Vater hat gesagt, weil Mädchen schmutzig sind, kann er ein Mädchen nicht lieb haben. Der Vater liebt nur den Bruder und die anderen Jungen. Es tut weh, wenn der Vater es macht. Aber das Mädchen möchte, dass der Vater es liebt. Die Mutter liebt das Mädchen auch nicht. Die Mutter ist fortgegangen. Der Vater hat gesagt, sie geht ins Krankenhaus. Sie ist aber nicht mehr zurückgekommen. Der Vater hat gesagt, sie ist nicht tot. Der Vater hat gesagt, die Mutter ist eine böse Frau. Die Mutter hat mit dem Vater gestritten. Das Mädchen hat es gehört. Aber es hat nicht verstanden, was sie gesagt hat.
    Mir war schlecht. Ich konnte diesen Ton nicht ertragen. Die Frau war verdammt noch mal erwachsen! Sie sollte schreiben wie eine gottverdammte Erwachsene! Ich knallte das Buch zu und warf es in die Ecke. Rosa hatte sich auf den Küchenschrank geflüchtet, sah aus schmalen Schlitzen zu mir herunter und fauchte. Das brachte mich zur Räson. Du leeve Jott, dachte ich, hast du sie noch alle, Leichter? Was bist du denn wegen der Frau aggressiv und nicht wegen ihrem Vater?
    Gute Frage, gab ich mir selbst zur Antwort.
    Etwas an dem Text reizte mich bis aufs Blut. Ich wusste bloß nicht, was. Dass dieser Vater ein mieses Arschloch war, das dringend in den Knast gehörte, stand ja außer Frage. Aber das war es nicht, was mir so gegen den Strich ging. »Weiterlesen«, befahl ich mir. Hob das Notizbuch wieder auf, goss mir Tee nach und setzte mich an den Tisch
    Das Mädchen ist jetzt kein Mädchen mehr, hat die Großmutter gesagt. Das Mädchen ist jetzt eine junge Frau. Der Vater bringt jetzt die Jungen nicht mehr mit herauf. Er will nicht mehr, dass die Jungen es mit ihr tun. Beim letzten Mal hat sie geblutet, und der Vater hat sie geschlagen. Er hat gesagt: Du bist ekelhafter als ein Haufen Scheiße. Das Wort darf das Mädchen nicht sagen. Das Wort darf auch der Bruder nicht sagen. Das Wort darf nur der Vater sagen. Der Bruder ist wieder zu Hause. Der Vater ist abends mit dem Bruder und einem Jungen im Schlafzimmer. Der Vater hat eine Filmkamera gekauft.
    Der Vater erklärt der jungen Frau, wie man eine Filmkamera benutzt. Die junge Frau filmt es mit der Kamera, wenn der Vater es mit dem Bruder und den Jungen macht. Der Vater hat gesagt, so kann sich auch ein schmutziges Mädchen nützlich machen. Die junge Frau macht sich nützlich. Manchmal lädt der Vater andere Männer ein. Die wollen es manchmal mit der jungen Frau machen, obwohl sie schmutzig ist. Dann bedient der Vater die Filmkamera.
    Hilfe! Ich sah Frau Grimme vor mir. Ihr Höhere-Tochter-Getue. Versuchte, mir das kleine Mädchen vorzustellen, das sie gewesen war. Das von diesem Monster-Vater missbraucht und dressiert wurde. Empfand endlich doch Mitgefühl für sie. Wurde aber meine Abneigung trotzdem nicht los.
    Das Telefon läutete. Ich ließ es klingeln und ging dann doch dran.
    »Also, Schwesterherz, ich komme euch um zehn abholen. Ist das für dich okay? Stefan meinte, er würde bei dir übernachten und ich kann euch in Nippes einsammeln.«
    »Seit wann entscheidet Stefan über meine Abende?«, fauchte ich.
    »Hey, was ist denn mit dir los?«, fragte Paul. »Habt ihr Krach? Stefan hat gar nicht so geklungen.«
    Ich holte tief Luft. Sagte mir: Paul kann nichts dafür!
    »Entschuldige, es hat nichts mit dir zu tun und mit Stefan auch nicht. Ich bin in eine grauenhafte Geschichte reingeraten, und ich bekomme grade keine Luft mehr vor …« Ich suchte nach einem passenden Wort. »Vor Abscheu.«
    »Dann erzähl doch morgen, was passiert ist, ja?«
    »Ja, mach ich«, hörte ich mich sagen. War mir aber gar nicht sicher, ob ich wirklich darüber reden wollte. Mir saß der Horror im Nacken, und ich verstand nicht, warum. Es ging mir, bei allem Mitgefühl, nicht wirklich um Frau Grimme, das spürte ich. Und ich war auch nicht fassungslos über ihre Geschichte. Ähnliches hatte ich schon in Gerichtsakten gelesen und bei meinen Recherchen zu Kinderpornos. Dass Männer so etwas tun, wusste ich. Dieses Wissen löste alles Mögliche in mir aus, aber nicht dieses undefinierbare Gefühl von Bedrohung, das ich jetzt empfand. Und auf einmal dämmerte mir: Ich hatte Angst um Marco und Chantal.
    »Hey! Mach mal halblang«, mahnte ich mich zur Vernunft. »Die Story von der Grimme spielt höchstwahrscheinlich in ihrer eigenen Kindheit, und die ist schon ‘ne ganze Weile her.«
    Ich blätterte um. Der Text war bisher mit einem Tintenfüller

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