Endstation Oxford
erschien ihr in diesem Moment überaus tröstlich. Erneut pikste sie das Messer in den Rücken. Aber vielleicht täuschte sie sich auch, und möglicherweise musste ihr Testamentsvollstrecker die Rechnung begleichen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie immer noch kein Testament aufgesetzt hatte. Sie sollte sich endlich einmal darum kümmern. Falls sie Glück hatte und entwischen konnte.
»Sie reden heute viel weniger als sonst«, stellte Frances fest. »Haben Sie keine Ansichten, mit denen Sie mich langweilen wollen? Sie wissen nicht, was Sie von mir halten sollen, nicht wahr? Sie haben die richtige Schublade für mich noch nicht gefunden.«
Bin ich tatsächlich so durchschaubar?, überlegte Kate unwillkürlich. Offenbar schon!
»Nur noch eine Treppe«, sagte Frances munter. »Sie werden sehen, es ist ein gemütliches, kleines Apartment. In sich abgeschlossen. Eigentlich wollte ich es an eine berufstätige Einzelperson vermieten, aber mir widerstrebt die Vorstellung, dass ein Fremder morgens und abends über meine Treppe geht, fernsieht, Radio hört, vielleicht Freunde einlädt – und das alles nur ein paar Meter über meinem Kopf.«
Sie waren vor einer weiteren dunkelgrünen Tür angelangt, die über ein solides Schloss verfügte und deren Farbe in den 1970er Jahren modern gewesen sein musste.
»Hier, nehmen Sie den Schlüssel, schließen Sie auf, und gehen Sie hinein. Aber denken Sie daran: Ich bin unmittelbar hinter Ihnen, und dieses Messer hat eine lange, dünne, sehr scharfe Klinge. Ich benutze es normalerweise, um Schinken zu schneiden, allerdings können mein Bruder und ich uns so etwas in letzter Zeit kaum noch leisten.«
Kate fand sich in einem Flur wieder, von dem vier Türen abgingen. Hier waren die Türen weiß, die Tapete war beigefarben und der Fußboden mit einem langweiligen grünen Teppich ausgelegt.
»Legen Sie Ihr Handy auf den Tisch, und treten Sie einen Schritt beiseite«, befahl Frances.
Kate gehorchte. Frances griff mit der freien Hand nach dem Telefon und ließ es in ihre Tasche gleiten.
»Fühlen Sie sich wie zu Hause«, forderte sie Kate ohne die geringste Ironie auf. »Ich muss jetzt wieder ins Geschäft, aber ich komme später wieder. Dann werden wir entscheiden, was ich mit Ihnen anfange.«
Kate spielte kurz mit dem Gedanken, sich auf Frances zu stürzen und nach dem Messer zu greifen. Doch die Klinge war scharf genug, um gleich mehrere Finger abzutrennen, und Frances passte auf wie ein Schießhund.
»Aber was wollen Sie tun? Sie können mich nicht hierbehalten. Jon und Craig werden sich fragen, wo ich bin, und die Polizei informieren. Und die wird im Handumdrehen hier sein.« Ihre Stimme klang gleichzeitig angespannt und zittrig. Sie wusste, dass sie nicht überzeugend wirkte.
»Glauben Sie das wirklich? Also ich nicht!«
Und damit ging Frances. Sie knipste die Lichter aus und schloss die Tür hinter sich ab.
Sofort wurde es im Flur stockfinster. Kate tastete sich an den Wänden entlang, bis sie einen Schalter fand. Erleichtert stellte sie fest, dass sich das Licht einschalten ließ, auch wenn es nur eine kümmerliche 40-Watt-Birne war. Wie sehr habe ich mich doch in dir getäuscht, Frances, dachte sie. Aber jetzt weiß ich, wie du wirklich tickst.
34
Kate stand still und lauschte. Nichts! Ob sich Estelle hier irgendwo aufhielt? War sie bei Bewusstsein? Lebte sie überhaupt noch?
Kate öffnete die erste Tür rechts. Dahinter befand sich ein großer Schrank mit einem Wasserkocher und Regalen voller Bettzeug und Handtücher. Die nächste Tür führte in ein winziges Bad mit Dusche. Eine Zahnbürste hing im Halter, auf dem Waschbeckenrand lag ein Stück einfache, weiße Seife, und auf dem Regal fand Kate eine Flasche Shampoo aus dem Supermarkt und eine Dose billige Hautcreme. In einem kleinen Plastikschränkchen gab es außerdem ein Päckchen Aspirin und einen Dreierpack Zahnbürsten, in dem eine fehlte.
Kate wollte gerade die Klinke der nächsten Tür drücken, als diese geöffnet wurde. Eine Frau mittleren Alters mit blassem, leicht aufgedunsenem Gesicht und fettigen Haaren stand vor ihr. Sie trug ein zerknautschtes, nicht ganz sauberes T-Shirt, schwarze Jogginghosen und blickte Kate wütend an.
»Sie!«, fauchte sie anklagend.
»Estelle?« Kate konnte es kaum glauben, doch der scharfe Tonfall kam ihr bekannt vor.
»Das wurde aber auch Zeit! Wo bleibt denn die Polizei? Wann zum Teufel komme ich endlich hier raus?«
Nein, es gab keinen Zweifel – das war wirklich
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