Endstation Oxford
starrte seinen Bruder an. »Und wenn nicht, steckst du in der Scheiße? Kommst du vielleicht in den Knast?«
»Dazu wird es hoffentlich nicht kommen.« Myles sah jetzt aus wie damals mit acht Jahren, als er dabei ertappt wurde, wie er an einem Kiosk Comics klaute. Peters Argwohn wuchs.
»Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie viel ich im Augenblick flüssig machen kann.«
»Mann, Pete, komm mir doch nicht mit Ehrlichkeit. Wie war das noch …«
»Meine früheren Sünden gehen dich einen feuchten Kehricht an. Außerdem hat sich seit ein paar Wochen vieles verändert.«
»Estelle soll also nicht erfahren, was für ein Windhund du warst.«
»Jetzt übertreibst du aber. Halt einfach den Mund.«
Myles lachte. »Ich finde es witzig, wenn du den geizigen großen Bruder gibst.« Er deutete auf sein schon wieder leeres Glas.
»Ich will sehen, was ich tun kann«, erwiderte Peter matt und ging zur Bar, um seinem Bruder und sich einen weiteren Drink zu besorgen. Wenn es hart auf hart kam, konnte er seinen Bruder nicht untergehen lassen. Vielleicht hatte Myles ja recht. Möglicherweise konnte er Estelle überreden, ihm ein bisschen Geld zu leihen. Problematisch war nur, was sie als Gegenleistung verlangen würde. Sicher würde sie mehr Fragen stellen, als er beantworten wollte. Und keinesfalls durfte er riskieren, dass Myles ihr die Ohren mit übertriebenen Geschichten über den immensen Gewinn vollquatschte, den Peter angeblich mit Secondhandbüchern machte.
»Sieh mich an«, jammerte Myles und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »In acht Jahren werde ich fünfzig und habe es zu nichts gebracht.«
»Du hast eine Familie, auf die du stolz sein kannst«, entgegnete Peter. »Das ist doch etwas, oder etwa nicht?«
»Ich habe eine teure Ehefrau und zwei verwöhnte Töchter«, erklärte Myles. Einen Augenblick hatte Peter den Eindruck, als wolle sein Bruder noch eine weitere Verpflichtung hinzufügen, doch Myles starrte nur stumm auf den Tisch.
Auf dem Heimweg hing Peter seinen Gedanken nach. Er rechnete aus, ob es sich lohnen würde, sein gesamtes restliches Kapital in neue Lagerbestände zu stecken und sich dann darauf zu konzentrieren, die Bücher so schnell und so profitabel wie möglich wieder loszuschlagen.
Doch auch so kam er nicht auf die Summe, die er benötigte.
Einige Tage später, als Peter dabei war, die Kataloge nach geeignetem Material zu durchforsten, hörte er, wie Post eingeworfen wurde. Auch dieses Mal war ein handgeschriebener Umschlag dabei, der jedoch zu seiner Erleichterung nicht von seiner Mutter stammte.
Er öffnete den Brief und entnahm ihm ein einzelnes Blatt aus schwerem, cremefarbenem Velinpapier.
Sehr geehrter Mr Hume,
vielleicht erinnern Sie sich noch an mich. Wir haben uns auf Estelles Hochzeit kennengelernt und sprachen kurz über Bücher. Ich möchte Sie nun bitten, mir in einer Angelegenheit zu helfen, die in Ihren Tätigkeitsbereich fällt und in der Sie sicherlich über größere Erfahrung verfügen als ich …
Peters Augen wanderten zu der spinnenartigen Unterschrift am Ende der Seite. Adela Carston . Er erinnerte sich. Eine fliederfarben gewandete ältere Dame mit einem leicht verkniffenen Mund. Hatte sie nicht vom Interesse ihres verstorbenen Mannes an Büchern gesprochen? Allerdings hatte sie dabei ein wenig verwirrt und müde gewirkt.
Normalerweise wäre ihr in höflichen Worten gehaltener Brief für Peter nicht weiter von Interesse gewesen. Da es ihm im Moment jedoch an anderweitigen Angeboten mangelte, konnte er sich ebenso gut einmal ansehen, was sie zu bieten hatte. Ein Instinkt, ein Näschen für ein gutes Geschäft, ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern – irgendetwas lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die altmodisch geschwungene Handschrift. Zwar war hier keine Rettung aus seiner Finanzmisere zu erwarten, doch die alte Dame wohnte in Oxford und damit höchstens eine Fahrstunde entfernt. Im Übrigen hatte Peter in Oxford zwei gute alte Bekannte, die er bei dieser Gelegenheit besuchen konnte – einer, der ihm vielleicht helfen konnte, Geld aufzutreiben, und eine, die möglicherweise sein verletztes Ego wieder aufmöbeln würde. Außerdem, so dachte er sehnsüchtig, kann ich auf dem Heimweg in meinem kleinen Cottage Station machen. Dort könnte er sich auf seinem alten, bequemen Sofa ausruhen und aus seiner Steingutkanne Kaffee trinken, in dem fettreduzierte Milch nichts zu suchen hatte. Nur allzu bald würden Estelle und ihr Architekt das Cottage
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