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Endstation Oxford

Endstation Oxford

Titel: Endstation Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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unveröffentlichten Autoren ein.
    Zum Trost griff sie zum neuesten Entwurf eines ihrer Lieblingsautoren. Dem Mann lag nicht daran, schnell reich zu werden. Estelle bezweifelte ernsthaft, dass Jacksons Geschichte ihr auch nur halb so viel Freude machen würde wie das, was sie gerade in Händen hielt.
    Die Fensterscheiben sind schmutzig. Nicht aus Achtlosigkeit – ich lasse sie absichtlich so, weil die Vögel die Spiegelungen in glänzend polierten Fensterscheiben sonst für Büsche und Bäume halten und gegen das Glas fliegen. Das gilt sowohl für Türkentauben als auch für Sperlinge. Ich höre den Aufschlag von Kopf und Schnabel auf der Scheibe und finde anschließend einen zarten, grauen Abdruck auf dem Glas, der so fein ziseliert wirkt wie eine Metallgravur. Manchmal finde ich auch einen Vogel, der bewusstlos im Blumenbeet unter dem Fenster liegt. Eine Stunde später ist er fort. Ich weiß nicht, ob er sich wieder erholt hat oder ob er von einem Aasfresser geraubt wurde. Den Abdruck des Vogelkopfes wische ich nicht weg, sondern lasse ihn an der Scheibe, um die anderen, in diesem Zimmer lebenden Spektralformen zu erfreuen. Ich spüre, dass sie etwas verbindet: eine Gegenwart, die auf der Illusion von Leben aufbaut, ohne dessen Gewicht zu haben.

7
    Peter verließ Adela Carstons Haus um kurz nach eins in Feierlaune. Mittagessen? Die Speisekammer seines Cottages war bis auf ein paar Dosen mit Bohnen leer. Außerdem brauchte man zum Feiern mindestens noch eine zweite Person – jemanden, der einen spüren ließ, wie clever, scharfsinnig, jung geblieben und gut aussehend man war. Doch die Rückkehr zu Estelles Haus würde über eine Stunde in Anspruch nehmen. Wieder einmal ermahnte er sich, es endlich als »unser« Haus zu bezeichnen. Mittagessen im Pub? Nein, er musste sparen. Wenigstens noch so lange, bis er genau wusste, ob seine positive Einschätzung sich bestätigte. Cathy hatte ihm nach ein paar Gläsern Hochprozentigem einmal anvertraut, dass Myles sich seine Kicks beim Online-Poker holte, und Peters bevorzugte Spekulationen konnten ebenso riskant sein.
    Er beschloss, Emma Dolby zu besuchen. Bei ihr würde es sicher etwas zu essen geben; immerhin musste sie Dutzende von Kindern satt bekommen. Die gute alte Emma. Er würde einen Lichtblick in ihren Tag bringen, und sie würde ihn an die Zeiten erinnern, als er noch jünger, sehr erfolgreich und Single war. Wenn er die Stadtumgehung nahm, konnte er in zehn Minuten bei ihr sein.
    Emma und er hatten sich zwar nicht unter den besten Voraussetzungen getrennt, aber sicher hatte sie ihm längst verziehen und erinnerte sich nur noch an die guten Zeiten und ihre gemeinsamen Theater- und Konzertbesuche. Ihr langweiliger Ehemann ging niemals mit ihr aus. Sie sollte also dankbar sein, dass er ein wenig frischen Wind in ihr Leben gebracht hatte, wenn auch nur kurzfristig. Während der Zeit ihrer kleinen Eskapade war Emma sichtlich aufgeblüht, obwohl ihr klar gewesen sein musste, dass dieses Arrangement nicht von Dauer sein konnte. Sie hatte einfach zu viele Kinder und wäre auch gar nicht bereit gewesen, ihren Mann zu verlassen.
    Der Kies in der Auffahrt der Dolbys war wie üblich nicht geharkt. Unkraut sprießte zwischen den Steinen hervor. Auf der Veranda standen allerdings weniger Gummistiefel, und es gab dort keine Skateboards mehr. Peter klingelte.
    »Du lieber Himmel, Peter, was willst du denn hier?«
    Peter musste zugeben, dass er sich den begeisterten Willkommensgruß einer früheren Freundin anders vorgestellt hatte. »Ich war gerade in der Gegend. Darf ich reinkommen?«
    »Meinetwegen«, sagte sie unsicher und trat einen Schritt zurück. »Komm in die Küche. Ich koche nämlich gerade«, fuhr sie fort und ging ihm voraus durch einen dunklen Flur. Er stellte fest, dass ihre Hüften ausladender waren als bei ihrem letzten Treffen. Ihre nackten Füße steckten in abgetragenen Latschen, und ihr Haar wuchs grau nach. Vielleicht hätte er vorher anrufen sollen, um ihr die Chance zu geben, sich auf seine Ankunft vorzubereiten.
    »Schön, dich zu sehen, Emma«, bemerkte er. »Du siehst toll aus.«
    Aus der offenen Küchentür drang der appetitliche Duft von Gebackenem. Nachdem sie sich ihren Weg durch die Dolby-übliche Unordnung gebahnt hatten, setzten sie sich an den verkratzten Küchentisch, auf dem eine Kiste mit Biogemüse stand. Ein weiteres verheißungsvolles Zeichen.
    »Vermutlich hast du schon gegessen«, sagte Emma.
    »Nein, noch nicht.« Er hätte sie darauf

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