Endstation Oxford
anblickte.
»Guten Tag, Mrs Carston.«
»Guten Tag, meine Liebe. Kennen wir uns?« Ihre Stimme klang fragend. Sie schien daran gewöhnt zu sein, manchmal sowohl Namen als auch Gesichter zu vergessen.
»Mein Name ist Kate Ivory. Wir saßen bei Peters und Estelles Hochzeit am gleichen Tisch. Vielleicht erinnern Sie sich.«
»An Estelle erinnere ich mich natürlich. Ihr Vater ist ein sehr lieber alter Freund von mir. Wir haben uns während des Krieges kennengelernt. Estelles Ehemann scheint ein wirklich sympathischer Mann zu sein. Bei dieser Hochzeit wurden mir sehr viele Menschen vorgestellt, daher muss ich leider gestehen, dass ich nicht alle Namen und Gesichter behalten habe.«
»Wir haben uns am Tisch hauptsächlich über Bücher unterhalten. Wir waren drei Autoren, ein Geschwisterpaar, das eine Buchhandlung betreibt, und Sie, die uns von der Büchersammlung Ihres Mannes erzählten. Irgendwann im Lauf des Tages schlugen Sie vor, ich solle doch einmal auf eine Tasse Tee bei Ihnen vorbeischauen. Und da bin ich nun.«
Adela blickte sie zweifelnd an.
»Du liebe Zeit, Sie haben mich vergessen, nicht wahr? Soll ich lieber wieder gehen?«
»Ich fürchte, mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut wie früher.« Sie warf einen prüfenden Blick in Kates Gesicht. Offenbar fand sie dort nichts Beunruhigendes, denn sie fuhr fort: »Kommen Sie doch ins Haus. Hätten Sie denn Lust auf eine Tasse Tee?«
»Sehr gern«, antwortete Kate und folgte ihr in den Hausflur. Clement, der rote Kater, kratzte an einer der cremefarben lackierten Türen. Mrs Carston öffnete sie einen Spalt breit und ließ ihn hinein. Kate erhaschte einen Blick auf ein pelziges Gewimmel. Ein Katzenzimmer.
Mrs Carston öffnete eine weitere Tür, die in ein Zimmer mit Sesseln und Sofas mit fadenscheinigen Chintzbezügen führte. Auf sorgfältig polierten Tischen standen Porzellanfigürchen und kleine Emailledosen. An den Wänden hingen Landschaftsaquarelle, und auf den Sofas lagen bestickte Kissen. Aus einem Silberrahmen blickte ein erfolgreich aussehender Mann mittleren Alters. Sein Haar war dicht und leicht ergraut, die Nase sprang fast aggressiv aus seinem schroffen Gesicht, und seine Augen hatten einst genau in die Kamera gestarrt.
»Das ist mein verstorbener Mann Victor«, erklärte Adela.
»Er sah sehr gut aus«, meinte Kate. Aber sein Gesicht war nicht freundlich. Hatte Edgar Livingstone nicht gesagt, er sei ein Tyrann gewesen? Nun, dem Foto nach zu urteilen konnte er damit durchaus richtigliegen. Ein gewisser Zug um Victors Mund und die Geringschätzung der Welt, die aus seinen Augen sprach, verrieten ihn.
»Sehr hübsch hier«, lobte Kate. »Von hier aus hat man einen guten Blick in Ihren wunderbaren Garten.« Der Garten mochte einst tatsächlich schön gewesen sein, aber jetzt hätten die Pflanzen dringend eines Rückschnitts bedurft. Der Rasen war im Oktober offenbar nicht mehr gemäht worden. Zerrupfte Büschel wuchsen bis zu einer hohen Buchenhecke an der Grundstücksgrenze. »Die Katzen sind sicher gern dort draußen«, fügte Kate hinzu.
»Mag sein, aber ich sehe zu, dass sie die meiste Zeit im Haus bleiben. Der freche Clement entwischt mir manchmal, wenn ich ihnen ihr Futter bringe.«
Sie gingen weiter in die Küche. Kate sah, dass ein Teetablett für eine Person vorbereitet war. Mrs Carston schaltete den Wasserkessel noch einmal ein, holte eine Tasse nebst Untertasse aus dem Schrank und öffnete eine Dose mit losem Tee. Teebeutel kamen für Mrs Carston nicht infrage.
»Ich bin so weit«, sagte sie, als der Tee fertig war. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, das Tablett zu nehmen? Ich öffne Ihnen die Türen.«
Sie machten es sich im Wohnzimmer bequem, und Kate überlegte, wie sie den Brief an Peter am besten ansprechen könnte.
Mrs Carston nahm auf der Kante eines Sessels Platz und betrachtete ihre Besucherin.
»Entschuldigen Sie, meine Liebe, wie heißen Sie noch?«
»Kate. Kate Ivory. Wir haben uns bei der Hochzeit von Estelle und Peter kennengelernt. Haben Sie die beiden seither wiedergesehen?«
»Estelle hat immer viel zu tun, aber Peter hat mir sehr geholfen. Er ist sehr zuverlässig, auch wenn Austin etwas anderes behauptet.«
»Austin?«
»Mein Enkel. Ich finde, er ist nur eifersüchtig. Dabei hat er nichts zu befürchten. Er sollte sich nur allmählich darauf konzentrieren, ein nettes Mädchen zu finden und sesshaft zu werden. Diane wünscht sich schon lange ein Enkelchen.«
»Wer ist Diane?«
»Meine Tochter. Austins
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