Endstation Oxford
Mutter. Sie hat sich große Mühe gegeben, ihn allein großzuziehen. Ich glaube, Austin hat es Victor nie gedankt, dass dieser sich nach Olivers Tod so für ihn einsetzte.«
»Oliver?«
Langsam verlor Kate den Überblick über Adelas Familie.
»Dianes Mann. Mein Schwiegersohn. Austins Vater.«
»Ah, ich glaube, ich verstehe. Dann ist Oliver also gestorben, als Austin noch ein Kind war, und Victor ist sozusagen als Vater eingesprungen.«
»Er hat dem Jungen in seinem Testament auch eine gewisse Summe vermacht.«
»Was Austin aber nicht genügte.« Allmählich blickte Kate durch. »Sammelt Ihr Enkel ebenfalls Bücher?«
»Oh nein. Austin ist im Immobiliengeschäft, allerdings habe ich den Eindruck, dass es im Augenblick finanziell nicht so gut läuft.«
»Ist er Makler?«
»Er nennt sich Bauunternehmer, was immer das bedeuten mag. Wenn er tatsächlich so viele Immobilien besäße, wie er immer behauptet, müsste er mich nicht ständig um Geld angehen.«
»Wohnen sie hier in Oxford?«
»Wen meinen Sie, meine Liebe?«
»Diane und Austin.«
»Ja, aber natürlich nicht zusammen. Trotzdem bin ich froh, sie in meiner Nähe zu haben. Erst kurz vor Weihnachten waren sie hier bei mir. Ich hatte sie eingeladen. Das tue ich jedes Jahr. Aber ich habe Austin erklärt, es würde allmählich Zeit für ein paar Kinder. Dann könnte ich zu Weihnachten wieder Plätzchen backen. Aber er war schlecht gelaunt und hat überhaupt nicht zugehört. Er sprach immerzu nur von Victor und davon, dass man ihm noch etwas schulde. Ganz anders als sonst.«
»Haben Sie Peter in letzter Zeit noch einmal gesehen? Ich spreche von Estelles Ehemann.«
»Das ist wohl schon eine Weile her.«
»Kam er Ihnen irgendwie besorgt vor?«
»Nein, meine Liebe. Wieso?«
»Ach, nichts Besonderes.«
So würde Kate nicht weiterkommen. Sie blickte sich um und stellte fest, dass zwar sämtliche freien Oberflächen mit Nippsachen vollgestopft waren, überall Kissen herumlagen und ein ganzes Regal vor Zeitschriften fast überquoll, aber dass es nirgends Bücherregale gab und sich auch sonst kein einziges Buch im Raum befand. Sie dachte an ihr eigenes Haus, wo die Wände mit Bücherregalen geradezu tapeziert waren und neben jeder Sitzgelegenheit Bücherstapel lagen.
»Wo bewahren Sie Ihre Bücher auf?«, erkundigte sie sich.
»Das Buch, das ich mir gerade aus der Bibliothek geliehen habe, liegt auf meinem Nachttisch«, sagte Adela.
»Hatten Sie nicht erwähnt, dass Ihr Ehemann ein Sammler war?«
»Victor hätte mir nie gestattet, seine Bücher zu lesen.«
»Tatsächlich? Wie merkwürdig!«
»Er war sehr penibel damit.«
»Ich hatte Vitrinenschränke voll ledergebundener Bücher erwartet.«
»Nein, sie werden im Keller aufbewahrt.«
»Ich würde sie sehr gern einmal sehen.«
»Leider können wir nicht hinuntergehen. Meine Knie machen das nicht mehr mit.«
Wenn es dort unten wirklich wertvolle Bücher gab, hoffte Kate, dass sie sich außer Reichweite der Katzen befanden. Kate mochte Katzen, aber nicht in Rudeln. Sie dachte an die zierliche, rote Susanna, die auf ihren Knien gesessen und freundschaftlich geschnurrt hatte, die abends miauend ins Arbeitszimmer gekommen war und sich die Krallen an ein paar wichtigen Manuskriptseiten geschärft hatte, wenn sie fand, dass es Zeit für ihr Abendessen war – diese Katze hatte sie wirklich geliebt. Die Vorstellung, dass ganze Bücherberge in einem feuchten Keller vor sich hin moderten und von einem Trupp Katzen als Toilette benutzt wurde, verursachte ihr jedoch Unbehagen. Bücher waren dazu da, unter Menschen gebracht und gelesen zu werden.
»Peter ist sicher wegen dieser Bücher bei Ihnen gewesen?«
»Wie bitte?« Adela warf Kate einen misstrauischen Blick zu. »Warum stellen Sie mir diese Fragen? Haben Sie es etwa auf meine Bücher abgesehen? Anscheinend will sie jeder in seinen Besitz bringen, aber das lasse ich nicht zu!« Ihre Hände zitterten, und auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecke ab.
»Aber nein, alles ist in bester Ordnung. Ich habe weiß Gott genug Bücher und denke nicht im Traum daran, Ihnen Ihre zu nehmen.«
Zeit zu gehen, dachte Kate.
Auf dem Heimweg machte sie einen kleinen Umweg, kaufte griechische Oliven und eine Flasche Wein und kehrte auf einer anderen Strecke nach Hause zurück. Auf der North Parade fiel ihr eine glänzende, schwarze Tür mit einer polierten Messingplatte und der Aufschrift Anwaltskanzlei John, Haffney & Hume auf. Ein paar Hundert Meter weiter kam sie an
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