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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaya
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Kaffee. Ich muß noch einen Schluck davon trinken.
    Und das tat er dann auch ziemlich laut. Ein Geräusch drang aus dem Paket, ein recht bedrohliches. Er beachtete es nicht und nippte an seinem Kaffee. Dann stellte er die Tasse vorsichtig ab, damit er nichts verschüttete bei dem, was jetzt garantiert kommen würde.
    Hmm , machte er noch, bevor das Paket explodierte und Paola sich wie ein großer Fisch auf den Rücken warf, wobei sie den linken Arm quer über seine Brust streckte. Er drehte sich um, nahm die zweite Tasse vom Tischchen und gab sie ihr in die Hand, um sie ihr gleich wieder abzunehmen und festzuhalten, während seine Angetraute sich aufsetzte.
    Diese Szene hatte zum erstenmal am zweiten Sonntag nach ihrer Heirat stattgefunden, als sie noch in den Flitterwochen waren und er sich über seine schlafende Eheliebste gebeugt hatte, um an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. Da hatte ihn die stahlharte Stimme, mit der sie gesagt hatte: Wenn du nicht sofort aufhörst, reiße ich dir die Leber raus und esse sie , darüber aufgeklärt, daß ihre Flitterwochen vorbei waren.
    Wie sehr er sich auch bemühte, was er allerdings nicht sehr ernsthaft tat, verstand er doch nie, weshalb sie so wenig Sympathie für das aufbrachte, was er gern als sein wahres Ich ansah. Sonntag war der einzige Tag, an dem er sich nicht unmittelbar mit Tod und Unglück abgeben mußte, weshalb er daran festhielt, daß der Mann, der da aufwachte, der echte war, der wahre Brunetti, und er darum den anderen, diesen Mr. Hyde, als nicht im mindesten typisch für sein inneres Ich abtun konnte. Paola wollte davon nichts wissen.
    Während sie ihren Kaffee schlürfte und versuchte, die Augen auf-zubekommen, stellte er das Radio an und hörte die Morgennachrich-ten, obwohl er wußte, daß sie ihm wahrscheinlich die Laune verder-ben würden, bis sie der ihren glich. Wieder drei Morde in Kalabrien, alles Mafiosi, davon einer ein gesuchter Killer (ein Punkt für uns, dachte er); Gerüchte über den bevorstehenden Zusammenbruch der Regierung (wann stand der nicht bevor?); eine Schiffsladung Giftmüll im Hafen von Genua, zurückgeschickt aus Afrika (warum auch nicht?); und ein in seinem Garten ermordeter Priester, achtmal in den Kopf geschossen (hatte er bei der Beichte eine allzu strenge Buße verhängt?). Er schaltete aus, solange noch Zeit war, seinen Tag zu retten, und wandte sich Paola zu.
    Bist du wach?
    Sie nickte, sprechen konnte sie noch nicht.
    Was machen wir mit dem Geld?
    Sie schüttelte den Kopf, die Nase im Kaffeedunst.

    Möchtest du irgendwas haben?
    Sie trank ihren Kaffee aus, reichte ihm kommentarlos die Tasse und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Wenn er sie so ansah, wußte er nicht, ob er mehr Kaffee holen oder sie künstlich beatmen sollte.
    Brauchen die Kinder irgendwas?
    Sie schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf.
    Gibt es wirklich nichts, was du gern hättest?
    Es kostete sie übermenschliche Anstrengung, aber sie brachte die Worte heraus.
    Verzieh dich für eine Stunde, dann bring mir eine Brioche und mehr Kaffee.
    Damit warf sie sich auf den Bauch und
    war wieder eingeschlafen, bevor er noch das Zimmer verlassen hatte.
    Er duschte lange und rasierte sich unter Strömen heißen Wassers, froh, daß er einmal nicht die Kommentare der anderen Haus-haltsmitglieder fürchten mußte, die mit ihren diversen ökologischen Empfindlichkeiten stets bereit waren, alles anzuprangern, was sie als Vergeudung oder Umweltsünde betrachteten. Brunetti hatte den Verdacht, daß seine Familie sich immer gerade für solche Sachen begeisterte, die ihm unmittelbar das Leben unbequemer machten.
    Andere Männer brachten es ganz bestimmt fertig, Kinder zu haben, die sich um weit entfernte Dinge sorgten – den Regenwald, Atomtests, die Notlage der Kurden. Und ihm, einem städtischen Beamten, einem Mann, den die Presse sogar einmal gelobt hatte, verboten die eigenen Familienmitglieder, Mineralwasser in Plastikflaschen zu kaufen. Statt dessen mußte er Wasser in Glasflaschen kaufen und diese Flaschen dann vierundneunzig Stufen hinauf- und wieder hinunterschleppen. Und wenn er länger unter der Dusche blieb, als ein Durchschnittsmensch brauchte, um sich die Hände zu waschen, mußte er sich endlose Kritik über die Gedankenlosigkeit des Westens und seinen verschwenderischen Umgang mit den glo-balen Ressourcen anhören. In seiner Kindheit war Verschwendung verpönt gewesen, weil sie arm waren; heute war sie verpönt, weil sie reich waren. An diesem Punkt

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