Endstation Wirklichkeit
hat. Daran hatte sie noch mal zu knabbern. Gottlob hatte meine ältere Schwester bereits zwei kleine Kinder, sodass meiner Mutter das Oma-Sein nicht verwehrt blieb. Heute hat sie allerdings kein Problem mehr damit, dass ich schwul bin. Zum Schluss konnte ich meinen Freund sogar zum Essen mitbringen. Wir waren wie eine richtige Familie.“ Mike verlor gegen Ende seiner Erzählungen einen Großteil der Ausgelassenheit. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken.
„Waren? Was ist passiert?“, wollte David wissen.
„Tja, wir waren ein glückliches Paar. Zumindest dachte ich das. Bis ich ihn auf der Party zu meinem achtzehnten Geburtstag mit einem anderen erwischte. Schöne Geburtstagsüberraschung! Ich war am Boden zerstört. Es tat so unendlich weh und war eine große Enttäuschung für mich.“
David nickte verständnisvoll, und Mike rührte gedankenverloren in den Resten seines Espressos.
„Und dann war einfach alles vorbei? Nach zwei Jahren? Wegen dieser einen Sache? Vielleicht war Alkohol im Spiel! Vielleicht ...“
Mike schüttelte den Kopf. „Er hat mir am nächsten Morgen gesagt, dass er sich in den anderen verliebt hätte. Der Typ war fast zehn Jahre älter als er und angeblich viel reifer als ich. Noch am gleichen Tag ist er mit ihm aus der Stadt verschwunden. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“
„Das tut mir leid für dich. Ist sicher nicht einfach gewesen.“
Mike seufzte, als könnte er damit die unliebsamen Erinnerungen verscheuchen. „Das war es wirklich nicht. Aber was soll’s!? Das ist jetzt acht Monate her, und ich glaube, ich hab’s überstanden. Es gibt noch mehr Mütter mit hübschen Söhnen!“
Damit schien Mike seine gute Laune wieder gefunden zu haben und bestellte noch zwei Espressos.
„Und um einen dieser hübschen Söhne zu finden, hast du dich bei einem schwulen Filmproduzenten, der Pornos produziert, beworben?“
Mike lachte. „Nein, so schlimm ist es nicht! Den Job hatte ich kurz vorher bekommen. Wenn ich ehrlich bin, gefallen mir die meisten der Darsteller nicht besonders. Entweder sehen sie nach nichts aus, oder aber hinter der hübschen Fassade ...“, er tippte sich mit einem Finger an die Stirn, „... haust gähnende Leere. Nein, ich glaube nicht, dass ich dort meinen Traumprinzen finden werde.“
„Aha, und wie muss dein Traumprinz sein?“
Mike kräuselte die Stirn und sah nachdenklich in den Himmel. „Groß, schlank, nett, gut aussehend, mit Grips im Kopf, jemand, mit dem man reden kann. Und träumen, und kuscheln und ... und ... und ... All die schönen, sentimentalen Dinge, du weißt schon! Er müsste irgendwie anders sein wie die meisten – irgendwie ... so!“ Er machte eine kleine Pause und sah David an. „Ja, sogar ziemlich genau so!“
„Genau wie?“, hakte David nach, weil er Mikes Worten nicht folgen konnte.
„Na ja, er müsste sein … wie du!“
David zog überrascht die Augenbrauen nach oben.
„Wie ich?“, fragte er ungläubig. „Aber du weißt doch gar nicht, wie ich wirklich bin. Wir kennen uns doch erst ein paar Stunden!“
„Na und? Okay, ich kenn’ dich wirklich noch nicht so lange, aber was ich bisher kennengelernt habe, entspricht meinen Wünschen. Mein Bauch sagt mir, dass du ein interessanter und netter Typ bist. Und mein Bauch hat sich noch nie getäuscht.“
„Wirklich?“, bohrte David skeptisch nach und dachte an die Geschichte mit Mikes Ex-Freund.
„Na ja, sagen wir, er täuscht sich selten“, verteidigte sich Mike, als er Davids Gedanken erraten hatte. „Weißt du, ich bin im Grunde ein sehr gefühlsbetonter Mensch. Jemanden zu mögen, ist für mich keine Frage von rationalen Gründen oder davon abhängig, wie lange ich ihn kenne, sondern eher ein spontanes Gefühl, eine Stimmung. Das ist wie eine Tür, durch die sich viele Menschen einfach nicht trauen, hindurchzugehen. Und manchmal ist es auch ein plötzliches Kribbeln im Bauch, ein Stechen im Herzen oder einfach eine Faszination, die mich nicht mehr loslässt.“ Er machte eine kurze Pause. „Und ehrlich gesagt, kribbelt die Faszination im Augenblick ganz ordentlich!“
David lächelte und sah unsicher in seinen Espresso. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.
„Entschuldige, David, ich plappere wieder einfach drauflos. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Das klingt alles sicher ziemlich albern und schwülstig ... Ich glaube, ich hätte das nicht sagen sollen. Manchmal rede ich einfach zu viel.“
David hob den Kopf und sah Mike in die
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