Endstation Wirklichkeit
für gewöhnlich fishing for compliments , oder?“
Mike wollte etwas erwidern, doch der Regisseur rief die Leute zusammen. „Fertig machen zur Aufnahme!“
„Schade, ich muss los. Wir fangen an. Sehen wir uns später noch?“, fragte er vorsichtig.
David überlegte. „Ich weiß nicht. Ich bin mit Miles hier. Ich hab’ keinen eigenen Wagen.“
„Ist Miles dein Freund?“
„Wir kennen uns erst ein paar Tage. Aber ,Freund‘ im Sinne von ,Beziehung‘, falls du das meinst, ist er nicht!“ David glaubte in Mikes Augen wieder dieses besondere Strahlen zu erkennen.
„Ich bin auch mit dem Wagen hier. Wenn du willst, kann ich dich nachher zurückbringen. Vielleicht können wir noch etwas trinken gehen?“
„Ich klär’ das erst mit Miles. Ich will ihn nicht beleidigen. Schließlich bin ich von ihm eingeladen worden, hierherzukommen.“
Mike nickte verständnisvoll. „Okay, dann sehen wir nachher weiter. Ich muss jetzt los. War auf jeden Fall nett, dich kennengelernt zu haben. Bis dann!“ Er verschwand im Gewühl der umherlaufenden Filmleute.
David nickte ebenfalls und sah ihm hinterher. Dann schaute er zu, wie die ersten Szenen gedreht wurden.
3
D avid erinnerte sich an das Kribbeln im Bauch, als er das erste Mal in die strahlend blauen Augen von Mike gesehen hatte. Im kalten Morgenwind durchlebte er dadurch einen Kampf unterschiedlichster Gefühle. Der unausweichliche Zeitpunkt, bis er eine endgültige Entscheidung treffen musste, kam unaufhaltsam näher.
Wie ein zerbrechlicher Papierdrachen erhob sich die plötzlich aufgekeimte Emotion nun über seine psychischen Schmerzen. Für einen Moment glaubte er fest daran, der Drachen könnte die Oberhand über seine Empfindungen gewinnen und die Stürme in sich besiegen.
David ließ seinen Gedanken freien Lauf und wünschte sich, dieses Sinnbild von Hoffnung könnte wirklich mit einem alles verbrennenden Feuerstrahl die düsteren Wolken vertreiben. Und für eine Weile sah er auch tatsächlich den blauen Himmel als das Zeichen einer Zeit, in der er noch unbekümmert das Leben und die Liebe genossen hatte. Als nach und nach sich alles so entwickelte, wie er es sich immer erträumt hatte. Nein, als eigentlich alles noch viel, viel schöner wurde, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Und trotz des Schmerzes, der fortwährend an seiner Seele nagte, empfand David für einen kurzen Augenblick wieder pure Freude am Leben. Selbst die schwarzen Wolken, die das Bild der Unbeschwertheit trübten, konnten diese nicht schmälern.
Doch die Zeit drängte ihn zu einer Entscheidung.
Das kleine Fleckchen Blau des Himmels, das sein Drachen in der Dunkelheit der Erlebnisse freigelegt hatte, erinnerte ihn an die Farbe von Mikes Augen. Als dieses Leuchten ihm wie ein Leuchtturm den Weg gewiesen hatte. Damals war es ihm so hoffnungsvoll, so wegweisend und immerwährend erschienen. Dennoch hatte es nicht verhindern können, dass sein Glück eines Tages an den scharfen Klippen des wirklichen Lebens zerschellt war.
Er hatte ignoriert, dass es nicht nur aus einem wolkenlosen blauen Himmel bestand. Es gab Kanten, Felsen und Spitzen. Und er hatte sie übersehen.
***
Langsam schlenderte David zurück und stieg wieder die große Düne hinauf, hinter der das Strandhaus lag. Eine leichte Brise strich über den Kamm des grasbewachsenen Sandhügels und trug die Stimmen der Leute mit sich, die sich vor der Villa aufhielten.
Die Dreharbeiten am Strand hatten nur kurze Zeit im Freien stattgefunden, und sehr zu seinem Bedauern hatte er keine spannenden Szenen mit ansehen können. Außerhalb des Gebäudes waren nur ein paar belanglose Nebenszenen gedreht worden, die später im Film die Einleitung zu den wirklich wichtigen Geschehnissen sein sollten. Schon nach einer knappen Stunde waren fast alle im Haus verschwunden.
David lag eine Weile im Gras und ließ seinen Blick auf das offene Meer hinausgleiten. Er beobachtete das Kommen und Gehen der Wellen und sah den Möwen zu, deren Flug über dem Meer ein ständiges Auf und Ab vor dem Hintergrund des blauen Himmels war. Die Farbe erinnerte ihn an ein anderes Blau, das er heute zum ersten Mal gesehen hatte. David ertappte sich dabei, dass seine Gedanken immer wieder um Mike kreisten. Er war fasziniert von den funkelnden Augen, aber eigentlich gefiel ihm an Mike so ziemlich alles. Mit jedem Atemzug, mit dem er frische Luft in seine Lungen beförderte, wurde ein Gefühl in ihm stärker, das er schon lange nicht mehr empfunden
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