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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Klemann
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sein einst so brennender Wunsch, einen Job beim Film zu bekommen, war weniger wichtig geworden, als er sich das selbst je eingestanden hätte. Mike gab ihm die Kraft, die Rückschläge, die er weiterhin erlebte, auszuhalten und nicht aufzugeben.
    Seine Gedanken fanden wieder zurück zu dem Gespräch mit seiner Mutter. Er hatte deutlich die Besorgnis in ihrer Stimme gehört. Es war nicht schwer gewesen zu erkennen, dass sie nicht glücklich darüber war, dass er so heimlich verschwunden war. Irgendetwas stand seither zwischen ihnen.
    Aber David hatte ihr seine Gründe in groben Zügen erläutert, hatte ihr von seinen Träumen und der Trennung von Alan erzählt. Dass er so in dem kleinen Dorf nicht weiterleben konnte. Am Ende glaubte er fast zu spüren, dass sie ihn verstehen konnte. Dass sie es zumindest zu versuchen schien. Und nachdem sie erfahren hatte, dass es „ihrem kleinen Jungen“ gut ging, war ihr die Erleichterung deutlich anzumerken gewesen. Es folgten die üblichen Fragen: Was er in den vergangenen Monaten getan hatte. Wo und wie er wohnte. Ob er einen Job hätte, und natürlich auch, ob er immer satt zu essen hätte. Selbstverständlich kam auch jene Frage, die David erwartet hatte.
    „Lebst du allein? Oder gibt es endlich jemanden, von dem deine Mutter wissen sollte?“ Sie versuchte vergebens, den wahren Grund der Frage durch einen scherzenden Unterton zu verbergen, doch David erkannte sofort, dass sie darauf brannte zu erfahren, ob er endlich eine Freundin hätte. Oder ob er immer noch zu glauben meinte, mit einem Mädchen nichts anfangen zu können.
    „Ma, bitte. Ich habe keine Freundin. Und ich werde auch nie eine haben. Wann wirst du endlich verstehen, dass ich schwul bin? Das ist keine Grippe, die nach einiger Zeit einfach wieder verschwindet. Ich bin schwul, und daran wird sich nichts ändern. Ich bin glücklich, so wie ich bin, und ich will gar nicht anders sein.“
    Er hörte, wie seine Mutter schwer seufzte und dabei nach Worten suchte.
    „Ach Junge, ich will dir das ja nicht ausreden. Ich kann nur nicht verstehen, warum du dich nicht dagegen wehrst, warum du so tust, als wäre alles völlig normal?“
    David gab sich Mühe ruhig zu bleiben. „Wer sagt denn, was normal ist und was nicht? Wichtig ist doch nur, dass ich damit zufrieden bin, wie ich bin. Und ich bin doch kein anderer Mensch deswegen geworden. Ma, ich bin noch immer euer Sohn, bin noch immer derselbe Mensch. Ich bin immer noch ich, und außerdem ... außerdem ...“, er machte eine Pause, bevor er fortfuhr, „... außerdem bin ich nicht Ricky! Ich bin ich selbst und nicht wie mein Bruder. Nichts von dem, was ich bisher in euren Augen gewesen bin, ist anders. Warum könnt ihr das nicht akzeptieren?“
    Er hoffte, seine Mutter würde merken, dass er unter der angespannten Situation litt, die zwischen ihnen lag. Dass er nach einer Bestätigung ihrer Zuneigung suchte und er noch immer ihr kleiner Junge war. Er war es leid, dass sie in ihm seinen Bruder sehen wollten.
    „Ich liebe dich, David. Daran wird nichts und niemand etwas ändern. Es tut mir leid, wenn wir in der Vergangenheit in dir zu sehr deinen Bruder sehen wollten. Glaub mir, ich will nur, dass es dir gut geht und du glücklich bist“, flüsterte sie unerwartet.
    Die Worte taten David mehr als gut. Und es war ein Anfang. „Es ist schön, dass du das sagst. Ich versichere dir, mir geht es gut. Und ich bin auch nicht allein. Ich habe einen Freund. Wir lieben uns, und glaub mir, wir sind glücklich miteinander. Er ist der beste Mensch, den ich je kennengelernt habe."
    „Oh David, ich vermisse dich hier ...“, begann seine Mutter unerwartet am anderen Ende zu weinen.
    David schluckte schwer, als er sich erneut an das Telefonat erinnerte. Auf der einen Seite hatte die Aussprache mit seiner Mutter gutgetan. Es gab endlich so etwas wie den Anfang eines neuen Fundamentes, auf dem die Beziehung – zumindest zu seiner Mutter – wieder aufgebaut werden konnte. Und vielleicht war diese Grundlage auch stark genug, irgendwann einen neuen Annäherungsversuch zu seinem Vater zu wagen. Aber andererseits war es noch ein langer Weg, bis sie endlich akzeptieren würden, dass er sein Leben so ganz anders gestalten würde, als sie es sich gewünscht hatten.
    David stand einige Minuten regungslos am Fenster und beobachtete den Verkehr, der sich an diesem Morgen wie üblich durch die Straße quälte. Dann griff er erneut zum Telefon und tippte in schneller Folge einige Ziffern. Schon

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