Endstation
kann darüber hinwegtäuschen, daß sein Verhalten nicht vom gesunden Verstand gesteuert wird. Er leidet an einer Krankheit, die sich auf seinen Geisteszustand auswirkt. Einher damit gehen Angst und Besorgnis über das, was mit ihm geschehen wird.
Doktor Janet Ross
NPFA
4
»Das verstehe ich nicht«, sagte der Mann von der Public Relation. Ellis seufzte. McPherson reagierte mit einem geduldigen Lächeln. »Man kann es nur so betrachten, dass seine Gewalttätigkeit eine organische Ursache hat.«
Die drei saßen im ›Four Kings‹-Restaurant, gleich neben dem Krankenhaus. Das gemeinsame Abendessen hatte McPherson angeregt. Er wollte Ellis dabeihaben, und so war Ellis, wenn auch widerstrebend, gekommen. Ellis hob die Hand, winkte den Kellner herbei und bestellte Kaffee nach. Bestimmt kann ich nun wieder nicht einschlafen, dachte er. Aber das ist schon egal - in dieser Nacht würde er ohnehin nicht viel schlafen können.
Schließlich war es die Nacht vor der ersten Stufe-3-Operation an einem Menschen.
Er wußte jetzt schon, daß er sich unruhig im Bett hin-und herwerfen und jede einzelne Etappe der Operation wieder und wieder durchdenken würde, obgleich er jeden Handgriff blind beherrschte. Er hatte die Operation an zahlreichen Affen vorgenommen. Genau waren es einhundertvierundfünfzig. Affen sind schwierige Patienten. Sie ziehen sich das Nahtmaterial heraus, spielen mit den Drähten, kratzen und beißen …
»Kognak?« fragte McPherson.
»Gern«, antwortete der PR-Mann.
McPherson sah Ellis fragend an. Ellis schüttelte den Kopf. Er goß Sahne in seinen Kaffee, lehnte sich zurück und unterdrückte ein Gähnen. Der PR-Mann sah eigentlich einem Affen ähnlich. Er hatte denselben kantigen Unterkiefer wie ein junger Rhesusaffe und die gleichen wachen, beweglichen Äuglein.
Der PR-Mann wurde Ralph genannt. Seinen Familiennamen kannte Ellis nicht. Natürlich wurde im Krankenhaus seine eigentliche Aufgabe verschleiert. Man nannte ihn Pressereferenten, Leiter der Informationsabteilung oder so ähnlich.
Er sah tatsächlich wie ein Affe aus. Ellis suchte unwillkürlich nach der Stelle hinter dem Ohr, wo die Elektroden eingepflanzt wurden.
»Über die Ursachen der Gewaltausbrüche wissen wir nicht viel«, sagte McPherson. »Es sind eine Menge alberne Theorien im Umlauf, verfaßt von Soziologen, die das sauer verdiente Geld von Steuerzahlern zum Fenster hinauswerfen. Aber nur eines wissen wir wirklich: Daß eine ganz bestimmte Krankheit, nämlich die psychomotorische Epilepsie, zur Gewalttätigkeit führen kann.«
»Psychomotorische Epilepsie«, wiederholte Ralph.
»Ja. Die Form der psychomotorischen Epilepsie kommt ebenso häufig vor wie jede andere Form der Epilepsie. Einige berühmte Leute litten darunter, zum Beispiel Dostojewskij. Wir Neuropsychiater sind der Auffassung, daß an psychomotorischer Epilepsie außerordentlich häufig die Menschen leiden dürften, die immer wieder zu Gewaltakten neigen, wie gewisse Polizisten, Gangster, Rocker und Aufrührer. Doch diese Leute betrachtet niemand als körperlich krank. Man findet sich einfach damit ab, daß es auf der Welt nun einmal viele jähzornige Menschen gibt. Man hält das für normal. Aber das muß überhaupt nicht stimmen.«
»Ich verstehe«, sagte Ralph. Er schien tatsächlich zu begreifen. McPherson hätte Volksschullehrer werden sollen, dachte Ellis. Er besaß ein staunenswertes pädagogisches Talent. Als Forscher würde er dieses Format sicher nie erreichen.
McPherson fuhr sich mit der Hand durch das weiße Haar und fuhr fort: »So werden wir wohl nie genau erfahren, wieviel psychomotorische Epileptiker herumlaufen. Nach unserer Schätzung dürften ein bis zwei Prozent der Bevölkerung davon betroffen sein. Das heißt, zwei bis vier Millionen Amerikaner.«
»Heiliger Strohsack!« sagte Ralph.
Ellis trank einen Schluck Kaffee. Heiliger Strohsack, dachte er. Was für Ausdrücke der benutzt.
McPherson nickte dem Kellner zu, der die Kognakgläser auf den Tisch stellte. »Aus irgendeinem Grund neigen psychomotorische Epileptiker während ihrer Anfälle zu einem aggressiven, gewalttätigen Verhalten. Wir wissen nicht warum, aber es ist so. Zu dem Syndrom gehören weiterhin übermäßige sexuelle Aktivität und pathologische Rauschzustände.«
Ralph wurde immer interessierter.
»Wir hatten da den Fall einer Patientin«, erzählte McPherson, »die während eines Anfalls in einer einzigen Nacht Verkehr mit zwölf Männern hatte und immer noch nicht voll
Weitere Kostenlose Bücher