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Endstation

Endstation

Titel: Endstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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brauchen, alle vierzig Elektroden durchzugehen, aber es war ein faszinierendes Experiment. Obgleich die Elektroden, ganz dicht nebeneinander lagen, erzielte jede einen vollkommen anderen Effekt. Das war nun wirklich ein Beweis mehr für die winzige Ausdehnung der Nervenzellen im Gehirn, in diesem Organ, das jemand einmal die komplizierteste Struktur im bekannten Universum genannt hatte. Und es stimmte: Ein einziges menschliches Gehirn enthielt dreimal soviel Zellen, wie es Menschen auf der ganzen Erde gab. Der Aufbau des Gehirns war manchmal schwer zu begreifen. Zu Beginn seiner Arbeit bei der NPFA hatte Gerhard einmal ein Gehirn zum Sezieren angefordert. Er hatte an Hand eines Dutzends neuroanatomischer Lehrbücher mehrere Tage lang daran gearbeitet und dazu das traditionelle Werkzeug der Hirnanatomen verwendet, nämlich ein stumpfes Holzstäbchen, mit dem er die grauen Zellen beiseite schabte. Er hatte geduldig und sehr sorgfältig gearbeitet und am Ende nichts erreicht. Ein Hirn war etwas grundlegend anderes als eine Leber oder die Lungen. Dem Auge bot es sich einheitlich und langweilig dar, ohne etwas von seiner eigentlichen Funktion zu verraten. Das Hirn war eben zu komplex, zu subtil in seiner Struktur.
    »Elektrode vier«, sagte Richards ins Mikrofon. »Fünf Millivolt, fünf Sekunden.« Der Strom wurde eingeschaltet.
    Benson bettelte mit seltsamer Kinderstimme: »Kann ich bitte noch Milch und Kekse haben?«
    »Das ist aber interessant«, bemerkte Gerhard.
    Richards nickte. »Welches Alter schätzt du?«
    »Höchstens fünf bis sechs.«
    Benson plauderte über Kekse, über sein Dreirad. Im Laufe der nächsten Minuten rückte er langsam wie ein Zeitreisender wieder Jahr um Jahr vor, bis er das Erwachsenenalter erreicht hatte und sich nicht mehr in seiner Jugendzeit aufhielt, sondern nur noch an sie zurückdachte. »Ich wollte immer Kekse haben, aber sie hat sie mir nicht gegeben. Sie sagte, die seien ungesund und schlecht für die Zähne.«
    »Wir können weitermachen«, sagte Gerhard.
    Richards hielt auf dem Tonband fest: »Elektrode fünf, fünf Millivolt, fünf Sekunden.«
    Benson rutschte unruhig auf seinem Rollstuhl hin und her.
    Janet Ross erkundigte sich, ob ihm etwas fehlte. Benson antwortete: »Ein komisches Gefühl.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich kann’s nicht beschreiben. Das ist wie - wie Sandpapier. Unangenehm.«

    Horizontaler Schnitt durch das Gehirn. Rechter Schläfenlappen (Kasten) auf Seite 147 vergrößert dargestellt.
    Gerhard nickte und notierte: Nr. 5 - potentielles Anfallzentrum. Es kam gelegentlich vor, daß man auch eine Elektrode fand, die einen Anfall stimulieren konnte. Niemand wußte warum, und Gerhard glaubte insgeheim, daß es auch niemand je erfahren würde. Für ihn war das menschliche Gehirn jedem logischen Verständnis unzugänglich.
    Bei der Arbeit mit Programmen wie »George« und »Martha« hatte er gelernt, daß relativ einfache Computer-Instruktionen zu einem komplexen und unvorhersehbaren Verhalten der Maschine führen konnten. Es stimmte auch, daß die programmierte Maschine die Fähigkeiten des Programmierers übertreffen konnte, - das wurde 1963 ganz deutlich, als Arthur Samuel bei IBM einen Computer als Schachpartner programmierte und die Maschine mit der Zeit so gut wurde, daß sie selbst Samuel schlagen konnte.
    Das alles betraf noch Computer, die nicht mehr Schaltkreise aufwiesen als ein Ameisenhirn. Das menschliche Gehirn war weitaus komplizierter gebaut, und seine Programmierung erstreckte sich über mehrere Jahrzehnte. Wie konnte da jemand ernsthaft glauben, es jemals ganz begreifen zu können?
    Es erhob sich noch ein philosophisches Problem: Nach Gödels Lehrsatz kann kein System sich selbst erklären und keine Maschine jemals die eigene Funktionsweise erfassen.
    Gerhard war der Überzeugung, daß das menschliche Hirn bestenfalls nach jahrelanger Arbeit ein Froschhirn entziffern könnte. Aber sich selbst würde es wohl niemals bis in die Einzelheiten analysieren können. Dazu gehörte schon ein übermenschlicher Verstand.
    Gerhard glaubte daran, daß man eines Tages einen Computer entwickeln würde, der in der Lage war, die Milliarden von Zellen und die Hunderte Milliarden von Verbindungen im menschlichen Hirn zu entschlüsseln. Dann würde der Mensch endlich die Information besitzen, die er brauchte. Aber das war dann nicht mehr Menschenwerk, sondern ein Resultat, das eine höhere Intelligenzform erzielte. Allerdings würde der Mensch dann nicht mehr

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