Endstation
greift nach den Keksen, empfindet aber einen Schmerz und hört schließlich auf, verstanden?«
»Natürlich«, sagte Gerhard, »aber …«
»Lassen Sie mich ausreden. So funktioniert die Sache, wenn das Kind normal veranlagt ist. Ist das Kind ein Masochist, sieht die Sache anders aus.« Sie zeichnete eine zweite Kurve.
»Hier greift das Kind immer häufiger nach den Keksen weil es sich gern schlagen läßt. An die Stelle der negativen tritt eine positive Verstärkung. Erinnern Sie sich an Cecil?«
»Nein«, sagte Gerhard.
Auf dem Bildschirm des Computers erschien ein neuer Bericht: 11 UHR 22 STIMULATION
»Scheiße«, sagte sie. »Es geht schon wieder los.«
»Was?«
»Bei Benson zeichnet sich ein progressiver Zyklus ab.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Es ist wie bei Cecil. Das war der erste Affe, der über Elektroden an einen Computer angeschlossen wurde. Es war 1965. Damals war der Computer noch kein Kleinstgerät, sondern ein unförmiges Ding, und der Affe war noch über Leitungen angeschlossen. Cecil hatte Epilepsie. Der Computer erkannte stets den Beginn eines Anfalls und schickte einen Stromstoß, um ihn zu unterbinden. So weit in Ordnung. Nun hätten aber die Anfälle immer seltener kommen müssen, wie die Hand des Kindes immer seltener nach den Keksen greift. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Cecil mochte die Elektroschocks. Also begann er Anfälle hervorzurufen, um die angenehmen Stromstöße zu bekommen.«
»Und das macht jetzt Benson?«
»Ich glaube schon.«
Gerhard schüttelte den Kopf. »Hören Sie, Janet, das klingt sehr interessant, aber ein Mensch kann doch nicht willkürlich epileptische Anfälle auslösen oder verhindern. Er hat keine Kontrolle darüber. Die Anfälle sind … «
»Unbewußt«, ergänzte sie. »Das stimmt. Man kann sie ebensowenig kontrollieren wie den Herzschlag oder den Blutdruck, den Schweißausbruch und andere unwillkürliche Körperfunktionen.«
Es entstand eine längere Pause, dann sagte Gerhard: »Sie wollen mich also widerlegen.«
Auf dem Bildschirm erschien die Zeile
11 UHR 32-
»Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie zu viele Konferenzen verbummeln. Wissen Sie etwas über automatische Lernprozesse?«
»Nein«, kam es nach einer schuldbewußten Pause. »Das war lange Zeit völlig ungeklärt. Die klassische Lehre besagte, daß man nur willkürliche Vorgänge erlernen kann. Man kann Autofahren lernen, aber man kann nicht erlernen, wie man seinen Blutdruck herabsetzt. Natürlich gibt es Jogis, die angeblich den Sauerstoffbedarf ihres Körpers herabsetzen und den Herzschlag auf ein Minimum reduzieren können. Sie kehren die Peristaltik im Verdauungstrakt um und trinken mit dem Anus Flüssigkeit. Aber das alles war lange unbewiesen und galt theoretisch als unmöglich.«
Gerhard nickte zurückhaltend.
»Dann stellte sich später heraus, daß es tatsächlich möglich ist. Man kann einer Ratte beibringen, nur an einem Ohr zu erröten, und zwar wahlweise am linken oder rechten Ohr. Man kann sie lehren, Blutdruck oder Herzschlag zu senken oder zu steigern. Und dieselben Fertigkeiten können auch Menschen erlernen, es ist also nicht unmöglich.«
»Aber wie denn?« fragte er voller Neugier. Seine ursprüngliche Verlegenheit war verschwunden.
»Menschen mit hohem Blutdruck braucht man beispielsweise nur mit einer Blutdruckmanschette am Arm in ein Zimmer zu legen. Sobald der Blutdruck sinkt, läutet eine Glocke. Man weist die Versuchsperson an, die Glocke so oft wie möglich zum Läuten zu bringen. Anfangs ist es dann reiner Zufall. Aber die Versuchsperson lernt bald, wie sie die Glocke häufiger zum Läuten bringen kann. Nach ein paar Stunden klingelt es ununterbrochen.«
Gerhard kratzte sich am Kopf. »Und Sie glauben, Benson produziere häufigere Anfälle, um durch die Elektroschocks belohnt zu werden?«
»Ja.«
»Aber was macht das schon? Er kann ja keinen Anfall mehr bekommen. Das verhindert der Computer.«
»Das stimmt nicht«, entgegnete sie. »Vor ein paar Jahren wurde ein schizophrener Norweger mit Elektroden versehen. Man erlaubte ihm, beliebig oft ein Lustzentrum zu reizen. Er hat sich selbst so lange gereizt, bis er in Krämpfen lag.«
Gerhard zuckte zusammen.
Richards beobachtete den Bildschirm des Computers und sagte plötzlich: »Da stimmt etwas nicht.«
»Was denn?«
»Es kommen keine Ergebnisse mehr, nur noch die Uhrzeiten werden angezeigt.«
Auf dem Schirm sahen sie:
11 UHR 32 -
11 UHR 42 -
Janet Ross sah genauer hin und seufzte.
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