Endstation
geistig vollkommen in der Lage, seine Flucht zu planen. Vermutlich war er aufgestanden, hatte an der Tür gelauscht, gehört, wie der Polizist und die Schwester über Zigaretten diskutierten - und war dann innerhalb weniger Minuten geflohen. Aber wie hatte er das angestellt?
Benson mußte doch wissen, daß er im Bademantel niemals das Krankenhaus verlassen konnte. Seinen Straßenanzug hatte er im Schrank zurückgelassen, und darin wäre er vermutlich auch nicht hinausgelassen worden. Jedenfalls nicht um Mitternacht. Die Besuchszeit war seit drei Stunden vorüber, und man hätte ihn bei der Anmeldung festgehalten.
Wie, zum Teufel, hatte er das geschafft?
Der Polizist ging zum Stationszimmer, um seinen Bericht durchzugeben. Janet folgte ihm langsamer und betrachtete die Türen. In 709 lag ein Patient mit Verbrennungen. Sie öffnete die Tür und vergewisserte sich, daß er noch da war. 708 stand leer. Ein Patient war nach einer Nierentransplantation am Nachmittag entlassen worden. Sie kontrollierte vorsichtshalber auch dieses Zimmer.
Die nächste Tür führte zu einer Vorratskammer. Hier wurden Verbandsmaterial, Salben und Bettzeug aufbewahrt. Reihenweise standen Flaschen mit Lösungen für Infusionen auf dem Regal, dann Tabletts mit den verschiedensten Geräten. Sterile Gesichtsmasken, Kittelschürzen, Ersatzuniformen für Pfleger und Schwestern …
Sie blieb stehen. In einer Ecke des Regals lag ein blauer Bademantel, zusammengerollt und hastig hineingestopft. In dem Regal lagen ordentlich gefaltet und gebügelt weiße Hosen, Hemden und Jacken, wie sie vom Krankenhauspersonal getragen wurden.
Sie rief nach der Krankenschwester.
»Unmöglich«, sagte Ellis und rannte im Stationszimmer auf und ab. »Das ist absolut unmöglich. Er ist vor eineinhalb Tagen operiert worden. Er konnte noch gar nicht weg.«
»Er ist aber weg«, sagte Janet Ross. »Und er hat die einzig mögliche Methode gewählt: indem er die Kleidung eines Pflegers anzog. Dann ist er vermutlich über die Treppe hinuntergegangen in den sechsten Stock und mit dem Lift weiter bis in die Halle gefahren. Er dürfte niemandem aufgefallen sein, denn die Pfleger kommen und gehen zu jeder beliebigen Uhrzeit.«
Ellis trug einen Smoking und ein weißes Rüschenhemd. Seine Fliege saß schief, er rauchte hastig eine Zigarette. Janet hatte ihn noch nie rauchen sehen.
»Ich begreife es trotzdem nicht«, sagte er. »Wir haben ihn bis oben hin mit Thorazin vollgepumpt und…«
»Er hat kein Thorazin bekommen«, unterbrach ihn Janet.
»Was hat er nicht?«
»Was ist Thorazin?« fragte der Polizist, der sich Notizen machte.
»Die Schwestern hatten Zweifel wegen der Verordnung und haben sie nicht ausgeführt. Er hat seit gestern um Mitternacht keine Beruhigungsmittel mehr bekommen.«
»Großer Gott«, murmelte Ellis. Er warf den Schwestern einen mörderischen Blick zu. Dann überlegte er. »Und was ist mit seinem Kopf? Jedem müssen doch die Verbände auffallen.«
Morris hatte bisher schweigend in einer Ecke gesessen. Jetzt sagte er: »Er besaß eine Perücke.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Ich hab’ sie selbst gesehen.«
»Welche Farbe hatte diese fragliche Perücke?« erkundigte sich der Polizist.
»Schwarz«, antwortete Morris.
»Großer Gott«, murmelte Ellis noch einmal.
»Woher hatte er die Perücke?« fragte Janet.
»Eine Freundin hat sie ihm kurz nach der Aufnahme gebracht.«
»Hören Sie«, sagte Ellis, »selbst mit einer Perücke kann er nicht weit kommen. Er hat seine Brieftasche und sein Geld zurückgelassen. Um diese Zeit bekommt man hier kein Taxi.«
Janet staunte über Ellis’ Fähigkeit, die Realität einfach abzustreiten. Er wollte nicht glauben, daß Benson fort war, und so wehrte er sich verzweifelt gegen die offensichtlichen Tatsachen.
»Er hat gegen elf eine Freundin angerufen«, erklärte Ja-net. »Doktor Morris, wissen Sie noch, wer die Perücke hergebracht hat?«
»Ein hübsches Mädchen«, antwortete Morris.
»An den Namen erinnern Sie sich nicht mehr?« fragte Janet mit einem sarkastischen Unterton.
»Angela Black«, sagte Morris sofort.
»Sehen Sie mal nach, ob Sie den Namen im Telefonbuch finden?« bat Janet.
Während Morris blätterte, läutete das Telefon. Ellis hob ab. Er horchte, dann reichte er den Hörer kommentarlos an Janet weiter.
»Ja«, sagte Janet.
»Ich habe gerade die Computerberechnung durchbekommen«, sagte Gerhard. »Sie haben recht. Benson ist mit dem implantierten Computer in einen Lernzyklus
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