Endstation
VERBOTEN! Er holte zwei Dosen heraus. »Wollen Sie einen Schluck Kaffee?«
Morris betrachtete die Aufschrift.
»Damit sollen nur die Sekretärinnen abgeschreckt werden«, erklärte Farley lachend. Seine joviale Art ärgerte Morris. Er sah Farley zu, wie er den Pulverkaffee aufgoß. Morris ging hinüber zu Bensons Schreibtisch und durchsuchte die Schubladen.
»Was ist überhaupt mit Harry los?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Morris. Die oberste Schublade enthielt Papier, Bleistifte, Lineale, Blätter mit Notizen und Berechnungen. In der zweiten Schublade lagen hauptsächlich Briefe.
»Nun, er war doch im Krankenhaus, nicht wahr?«
»Ja, er hat das Krankenhaus nach einer Operation verlassen. Deshalb suchen wir ihn.«
»Er ist wirklich komisch geworden«, sagte Farley. »Hmhm«, brummte Morris. Er blätterte die Mappen mit den Briefen durch. Es waren hauptsächlich Geschäftsbriefe und Formulare.
»Ich weiß noch genau, wann es begann«, sagte Farley. »Das war in der Woche der Wasserscheide.«
Morris hob den Kopf. »Wann war das?«
»In der Woche der Wasserscheide«, wiederholte Farley. »Wie trinken Sie Ihren Kaffee?«
»Schwarz.«
Farley reichte ihm einen Becher und goß in seinen Kondensmilch aus einer Tube. »Die Woche der Wasserscheide war im Juli 1969. Sie haben wahrscheinlich noch nie davon gehört.«
Morris schüttelte den Kopf.
»Das war auch keine offizielle Bezeichnung«, erklärte Farley. »Aber jeder in der Branche wußte Bescheid. Wir haben sie privat so getauft.«
»Worüber wußte man Bescheid?«
»Sehen Sie, die Computerfachleute der ganzen Welt haben diesen Moment kommen sehen. Im Juli 1969 war es dann soweit, daß die Datenverarbeitungskapazität sämtlicher Computer der Welt die Datenverarbeitungskapazität sämtlicher menschlichen Hirne der Welt übertraf. Von diesem Moment an konnten die Computer mehr an Informationen aufnehmen und speichern als die dreieinhalb Milliarden menschlichen Hirne.«
»Das nennen Sie Wasserscheide?«
»Es ist eine«, sagte Farley.
Morris verbrühte sich an dem heißen Kaffee die Zunge, aber er wurde ein wenig wacher. »Soll das ein Witz sein?«
»Bestimmt nicht«, sagte Farley. »Es ist wahr. Diese Wasserscheide wurde 1969 überschritten, und seitdem wird der Vorsprung der Computer immer größer. Bis 1975 werden sie die Menschen in bezug auf die Kapazität bis auf das Fünfzigfache übertroffen haben.« Er holte tief Luft. »Harry hat sich furchtbar darüber aufgeregt.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Morris.
»Und da begann es bei ihm. Er wurde sehr seltsam und tat immer geheimnisvoller.«
Morris sah sich um und betrachtete die mächtigen Apparate. Ihn beschlich ein seltsames Gefühl. Zum erstenmal stand er in einem Raum, der voll war von Computern verschiedener Bauart. Ihm wurde klar, daß er Benson bisher nicht richtig eingeschätzt hatte. Er war stets davon ausgegangen, daß Benson nicht viel anders war als andere Leute auch - aber wer in einer solchen Halle arbeitete, mußte sich von normalen Menschen unterscheiden. Die Erfahrung verändert den Menschen. Ihm fiel wieder ein, was Janet Ross einmal gesagt hatte: die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen sei ein liberaler Mythos. Es gibt unter den Menschen viele, die grundsätzlich anders sind als alle anderen.
Auch Farley ist anders, dachte er. Unter normalen Umständen hätte er Farley vielleicht als einen jovialen Clown bezeichnet. Aber er verfügte offenbar über einen messerscharfen Verstand. Woher kam dieses eigentümliche Grinsen, wie erklärte sich sein komisches Benehmen?
»Wissen Sie eigentlich, wie schnell sich das alles entwickelt?« fragte Farley. »Verdammt schnell. In wenigen Jahren sind wir von Millisekunden zu Nanosekunden vorgerückt. Als 1952 der Computer ILLIAC I gebaut wurde, konnte er in einer Sekunde elftausend arithmetische Aufgaben lösen. Ziemlich schnell, nicht wahr? Jetzt ist ILLIAC IV so gut wie fertig. Er schafft in einer Sekunde zweihundert Millionen Rechenoperationen. Er gehört der vierten Computergeneration an. Natürlich hätte man ihn ohne die Hilfe anderer Computer gar nicht bauen können. Mit den Entwürfen für den neuen ILLIAC waren zwei andere Computer zwei Jahre hindurch voll ausgelastet.«
Morris trank seinen Kaffee. Vielleicht lag es an der Müdigkeit, vielleicht an der gespenstischen Atmosphäre in diesem Saal - jedenfalls dachte er jetzt ähnlich wie Benson. Computer, die andere Computer entwerfen. Vielleicht kommen sie doch noch an die
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