Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Stratosphäre.
    Captain Wu, Pater Brown und alle anderen starren Pater Captain de Soya an. Er kann ihre Gedanken fast hören: Das Mädchen sollte lebend gefasst werden.
    Er achtet nicht auf ihre starren Blicke und sagt zu der Pilotin: »Ich bin nicht mit diesem Landungsbootmodell vertraut. Kann es schweben?«
    »Ein paar Minuten«, antwortet die Pilotin. Ihr Gesicht unter dem Helm ist schweißgebadet.
    »Bringen Sie uns runter und schweben Sie über dem Portalbogen«, befiehlt de Soya. »Fünfzig Meter wären prima.«
    »Sir«, sagt die Pilotin, »die Aufwinde und Druckwellen der Dampfexplosionen –« »Befehl ausführen, Lieutenant.« Die Stimme des Priester-Captains klingt gelassen, duldet aber keinen Widerspruch. Sie schweben.
    Dampf und dichtes Nieseln sind allgegenwärtig, aber der Strahl des Suchscheinwerfers und das hochauflösende Radar durchdringen sie. Der Farcasterbogen ist weiß glühend, steht aber noch.
    »Erstaunlich«, flüstert Kommandantin Barnes-Avne.
    Mater Captain Stone meldet sich über den taktischen Kanal. »Pater Captain, das Ziel wurde getroffen, ist aber noch da. Soll ich noch einmal feuern?«
    »Nein«, sagt de Soya. Unter dem Bogen ist der Fluss ausgebrannt, Wasser fließt in die überhitzte Narbe zurück. Frischer Dampf steigt empor, als geschmolzener Stahl und Beton von den Ufern ins Wasser fließen. Die externen Mikrofone übertragen das Zischen. Strudel und Wirbel beherrschen den Fluss. Trümmer kreisen darin.
    De Soya schaut vom taktischen Kanal und seinen Monitoren auf und sieht, dass die anderen ihn wieder anschauen. Die Befehle lauteten, das Kind lebend zu fangen und nach Pacem zu bringen.
    »Commander Barnes-Avne«, sagt er förmlich. »Würden Sie bitte Ihren Soldaten den Befehl geben, zu landen und sofort mit der Durchsuchung des Flusses und der unmittelbaren Umgebung zu beginnen?«
    »Gewiss«, sagt Barnes-Avne, die das Kommandonetz aktiviert und Befehle erteilt. Sie wendet den Blick nicht von Pater Captain de Soyas Gesicht ab.

28

    In den Tagen nach dem Durchkämmen des Flusses, bei dem kein Raumschiff, keine Leichen und nur wenige Trümmer gefunden wurden, die möglicherweise vom Schiff des Mädchens stammten, rechnet Pater Captain de Soya fest damit, dass er vor ein Kriegsgericht gestellt und möglicherweise exkommuniziert werden wird. Der Erzengel-Kurier wird mit einem Bericht über die Geschehnisse nach Pacem geschickt, und innerhalb von zwanzig Stunden kehrt dasselbe Schiff mit anderer Besatzung mit dem Urteil zurück: Es wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. De Soya nickt, als er die Nachricht erfährt, und ist davon überzeugt, dass es sich dabei um ein Vorspiel seiner Rückkehr nach Pacem zur Kriegsgerichtsverhandlung und Schlimmerem handelt.
    Überraschenderweise ist der freundliche Pater Brown als persönlicher Repräsentant von Außenminister Simon Augustino Kardinal Lourdusamy Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, und Captain Wu nimmt als Abgesandte Admiral Marusyns von der Pax-Flotte teil. Zu den anderen Mitgliedern des Ausschusses gehören zwei Admiräle, die während des Debakels dabei waren, sowie Commander Barnes-Avne. De Soya wird Rechtsbeistand angeboten, aber er lehnt ab.
    Der Priester-Captain steht während der fünftägigen Anhörung nicht unter Arrest, aber man erwartet, dass er sich innerhalb des Militärstützpunkts des Pax außerhalb von DaVinci aufhält, bis die Anhörung vorüber ist. In diesen fünf Tagen geht Pater Captain de Soya innerhalb der Grenzen des Stützpunkts am Fluss spazieren, sieht sich im hiesigen Fernsehen und über die direkten Zugriffskanäle die Nachrichten an, schaut dann und wann zum Himmel und stellt sich vor, dass er erraten kann, wo die Raphael in ihrem Parkorbit kreist, unbemannt und stumm, abgesehen von den automatischen Systemen. De Soya hofft, dass der nächste Kapitän des Schiffs ihm mehr Ehre machen wird.
    Viele seiner Freunde besuchen ihn: Gregorius, Kee und Rettig sind nominell immer noch seine Leibwächter, tragen aber keine Waffen mehr und befinden sich – wie de Soya – in virtuellem Arrest auf dem Stützpunkt.

Mater Captain Boulez, Captain Hearn und Mater Captain Stone statten ihm alle einen Besuch ab, nachdem sie ihre Aussagen gemacht haben und bevor sie in die Grenzgebiete aufbrechen. An diesem Abend sieht de Soya die blauen Schweife von Landungsbooten am nächtlichen Himmel aufsteigen und beneidet sie. Captain Sati von der St. Anthony trinkt ein Glas Wein mit de Soya, bevor er zu seinem