Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
die Luft war kühl und dünn. Ich zog die gefütterte Weste aus meinem Rucksack, die beiden anderen holten ebenfalls Jacken aus ihren eigenen heraus. Der unglaubliche Mond stieg weiter an dem unglaublichen Sternenhimmel empor.
Der Abschnitt des Flusses auf Mare Infinitus bildet ein erfreuliches, wenn auch kurzes Zwischenspiel zwischen mehr erholungsorientierten Flussabschnitten, stand im Reiseführer durch das Weltennetz. Wir kauerten alle drei vor dem Steinherd, um den Abschnitt im Licht unserer letzten Handlampenlaterne zu lesen. An sich war die Lampe überflüssig, da das Mondlicht fast so hell schien wie die Sonne an einem bewölkten Tag auf Hyperion. Die violette Tönung der Meere wird durch eine Form von Phytoplankton im Wasser verursacht und ist nicht die Folge der atmosphärischen Bedingungen, die dem Reisenden so wunderbare Sonnenuntergänge bescheren. Das Zwischenspiel auf Mare Infinitus ist zwar sehr kurz – fünf Kilometer Reise auf dem Ozean empfinden die meisten Flusswanderer als ausreichend –, aber es schließt das im ganzen Netz berühmte Gus‘ Aquarium & Grill mit ein. Bestellen Sie unbedingt den gegrillten Meeresgiganten, die Hektapussuppe und den vorzüglichen Gelbtangwein. Speisen Sie auf einer der zahlreichen Terrassen der Meeresplattform von Gus’, damit Sie einen der spektakulären Sonnenuntergänge von Mare Infinitus und einen der noch spektakuläreren Mondaufgänge genießen können. Die Welt ist berühmt für ihr endloses Meer (es gibt keine Kontinente oder Inseln) und ihre aggressive Meeresfauna (zum Beispiel den »Lampenmundleviathan«); achten Sie daher darauf, dass Ihr Tethys-Flussschiff stets innerhalb des Küstenmittelstroms zwischen den Portalen bleibt, und lassen Sie sich von einigen Patrouillenbooten des Mare-Protektorats begleiten –
damit das kurze ozeanische Zwischenspiel, abgerundet von einem köstlichen Dinner in Gus’ Ozean-Grill, nur angenehme Erinnerungen hinterlässt. (ANMERKUNG: Der Mare-Infinitus-Abschnitt der Rundreise wird ausgelassen, sollten gefährliche Bedingungen des Wetters oder der Meeresfauna vorherrschen. Vergessen Sie in diesem Fall nicht, sich diese Welt bei einer späteren Tour anzusehen!)
Das war alles. Ich gab A. Bettik das Buch zurück, schaltete die Lampe aus, ging zur Vorderseite des Boots und sondierte den Horizont mit dem Nachtsichtgerät. Das Fernglas war im hellen Licht der drei Monde unnötig.
»Das Buch lügt«, sagte ich. »Wir können mindestens fünfundzwanzig Klicks bis zum Horizont sehen. Es gibt kein anderes Portal.«
»Vielleicht hat es sich fortbewegt«, sagte A. Bettik.
»Oder es ist gesunken«, sagte Aenea.
»Ha ha«, sagte ich und setzte mich zu den anderen neben den glühenden Hitzewürfel. Die Luft war kalt.
»Es wäre möglich«, sagte der Androide, »dass es – wie bei den anderen Flussabschnitten – eine längere und eine kürzere Version dieses Abschnitts gibt.«
»Warum bekommen wir immer die längeren Versionen?«, sagte ich. Wir bereiteten das Frühstück zu, weil wir alle nach der stürmischen Nacht auf dem Fluss Heißhunger hatten, aber auf dem Meer im Mondschein schienen Toast, Frühstücksflocken und Kaffee mehr ein Mitternachtsimbiss zu sein.
Wir gewöhnten uns bald daran, wie das Floß auf den Wellen schwankte.
Nach meiner zweiten Tasse Kaffee ging es mir besser. Etwas in dem Reiseführer hatte meinen Sinn für das Absurde angesprochen. Allerdings musste ich zugeben, dass mir der Ausdruck »Lampenmundleviathan« ganz und gar nicht gefiel.
»Dir macht das Spaß, nicht wahr?«, sagte Aenea zu mir, als wir vor dem Zelt saßen. A. Bettik hatte hinter uns das Ruder übernommen.
»Ja«, sagte ich. »Schätze schon.«
»Warum?«, fragte das Mädchen.
Ich hob die Hände. »Es ist ein Abenteuer«, sagte ich. »Aber niemand wurde verletzt...«
»Ich glaube, in dem Sturm waren wir knapp davor«, sagte Aenea.
»Ja, schon...«
»Warum macht es dir sonst noch Spaß?« Die Stimme des Kindes drückte aufrichtige Neugier aus.
»Mir hat es im Freien immer gefallen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Campen. Fort von allem zu sein. Die Natur gibt mir das Gefühl... ich weiß auch nicht... mit etwas Größerem verbunden zu sein.« Ich hielt den Mund, bevor ich mich wie ein orthodoxer Zen-Gnostiker anhörte.
Das Mädchen beugte sich dichter zu mir. »Mein Vater hat ein Gedicht über diesen Gedanken geschrieben«, sagte sie. »Eigentlich war es natürlich der uralte Dichter von vor der Hegira, nach dem der Cybrid
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