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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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seiner ebenmäßigen blauen Haut.
    »Eine Flagge!«, rief Aenea. »Genau das hat diese Expedition gebraucht.«
    Ich lachte. »Aber keine weiße Flagge. Das bedeutet...« Ich verstummte mitten im Satz.
    Die Strömung hatte uns langsam um eine weite Biegung des Flusses getrieben. Nun sahen wir alle das riesige und uralte Farcasterportal, das sich mehrere hundert Meter über uns und zu unseren beiden Seiten erstreckte. Ganze Bäume waren auf seiner breiten Oberseite gewachsen; Lianen hingen meterlang von seinen Mustern und Schnörkeln herab.
    Wir bezogen alle unsere Positionen. Ich stand diesmal am Ruder, A. Bettik an der langen Stange, als wäre er bereit, Felsen oder Angreifer abzuwehren, und Aenea duckte sich vorn.
    Ich wusste eine ganze Zeit lang, dass dieser Farcaster eine Attrappe war, dass er nicht funktionieren würde. Ich konnte den vertrauten Dschungel und den blauen Himmel darunter ausmachen, konnte den Fluss dahinter fließen sehen. Die Sicht war normal bis zu dem Augenblick, als wir in den Schatten des riesigen Bogens trieben. Ich konnte zehn Meter vor uns einen Fisch aus dem Wasser springen sehen. Der Wind zerzauste Aeneas Haar und erschuf Wellen auf der Wasseroberfläche. Über uns hingen Tonnen uralten Metalls wie eine von Kinderhand gemalte Brücke.
    »Nichts passiert –«, begann ich.
    Elektrizität knisterte in der Luft – weitaus plötzlicher und furchteinflößender als bei dem Sturm letzte Nacht. Es war, als wäre ein gigantischer Vorhang von dem Bogen direkt auf unsere Köpfe gefallen. Ich sank auf ein Knie und spürte das Gewicht und gleich darauf die Schwerelosigkeit. Einen Augenblick, so kurz, dass man es unmöglich messen konnte, war mir zumute wie damals, als das Crashfeld in dem taumelnden Raumschiff um uns herum explodiert war – wie ein Fötus, der in einer engen Fruchtblase zappelt. Dann waren wir durch. Die Sonne war verschwunden. Das Tageslicht war verschwunden. Flussufer und Dschungel waren nicht mehr da. Wasser streckte sich auf allen Seiten bis zum Horizont. Sterne in einer Zahl jind Größe, wie ich sie mir nie vorgestellt, geschweige denn gesehen hatte, standen an einem Himmel, der viel zu groß wirkte. Direkt vor uns standen drei Monde am Himmel, die Aeneas Silhouette wie orangefarbene Suchscheinwerfer anstrahlten, jeder so groß wie ein ausgewachsener Planet.

31

    »Faszinierend«, sagte A. Bettik.
    Das wäre nicht das Wort meiner Wahl gewesen, aber vorerst würde es genügen. Meine erste Reaktion bestand darin, dass ich damit begann, unsere Situation durch negative Aussagen zu charakterisieren: Wir waren nicht mehr auf der Dschungelwelt; wir waren nicht auf einem Fluss – der Ozean erstreckte sich in jeder Richtung bis zum Nachthimmel; es war nicht mehr Tag; wir sanken nicht.
    Das Floß schwamm ganz anders in dieser sanften, obschon beachtlichen Meeresdünung, doch meinem barkengeübten Auge fiel auf, dass die Wellen zwar etwas weiter über die Ränder schwappten, das Gymnospermenholz hier aber einen stärkeren Auftrieb zu haben schien. Ich ließ mich beim Ruder auf ein Knie sinken und führte behutsam eine hohle Hand voll Meerwasser zum Mund. Ich spuckte es rasch wieder aus und spülte mir den Mund mit frischem Wasser aus der Feldflasche an meinem Gürtel. Dieses Meerwasser war sogar noch wesentlich salzhaltiger als das ungenießbare Wasser der Meere von Hyperion.
    »Mann«, sagte Aenea leise bei sich. Ich nehme an, sie meinte die aufgehenden Monde. Alle drei waren riesig und orangefarben, aber der mittlere war so groß, dass sogar die Hälfte seines Durchmessers beim Aufgehen fast den gesamten Himmelsabschnitt beanspruchte, den ich noch als Osten betrachtete. Aenea stand auf, und ihre stehende Silhouette reichte nicht einmal bis zur halben Höhe der riesigen orangefarbenen Hemisphäre.
    Ich zurrte das Ruder fest und ging zu den beiden anderen auf dem vorderen Teil des Floßes. Weil es auf den sanften Meereswogen unter uns schaukelte, hielten wir uns alle drei an dem senkrechten Pfosten fest, wo A. Bettiks Hemd immer noch im nächtlichen Wind flatterte. Im Licht der Monde und Sterne leuchtete das Hemd weiß.
    Für einen Augenblick hörte ich auf, ein Flussschiffer zu sein, und betrachtete den Himmel mit den Augen eines Schafhirten. Die Sternbilder, die mir als Kind die liebsten gewesen waren – der Schwan, der Schräge Vogel, die Zwillingsschwestern, die Saatschiffe und die Home Plate –, waren entweder nicht da oder so verzerrt, dass ich sie nicht erkennen konnte.

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