Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
ich begriff, dass das Floß in einer Gesellschaft, in der sämtliche Baustoffe, Waffen und Kleidung von einem einzigen Tier stammten – obendrein einem geschickten Raubtier –, einen wahren Schatz an Rohstoffen darstellen musste.
Sie hätten versuchen können, uns zu töten oder im Stich zu lassen und sich dieses Reichtums zu bemächtigen, aber die Chitchatuk waren ein großzügiges Volk, und nicht einmal Habgier konnte ihre Überzeugung erschüttern, dass alle Menschen Verbündete waren, ebenso wie alle Phantome Feinde waren und Beute. Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch kein Phantom gesehen – natürlich abgesehen von den Fellen, die wir über unserer Tropenkleidung trugen, weil diese Häute so unglaublich warm waren, dass sie es mit der Thermodecke aufnehmen konnten, was ihre isolierende Wirkung betraf, und es uns daher ermöglichten, den größten Teil der Kleidung abzulegen, in die wir uns eingemummt hatten. Aber obwohl wir keine Ahnung von der Stärke und dem Hunger der Phantome hatten, sollten wir bald einen Vorgeschmack davon bekommen.
Erneut machte Aenea ihnen begreiflich, dass wir flussabwärts durch den Bogen reisen wollten. Sie stellte die Eiswand pantomimisch dar – zeigte darauf – und erläuterte ihnen dann unsere Weiterreise flussabwärts zum zweiten Bogen.
Das versetzte Cuchiat und seine Gruppe in noch größere Aufregung, und sie versuchten, ohne Zeichensprache mit uns zu reden, wobei uns ihre abgehackten Worte und Sätze wie Schotterlawinen in den Ohren klangen.
Als das nichts fruchtete, drehten sie sich um und unterhielten sich aufgeregt miteinander. Schließlich kam Cuchiat nach vorn und sagte einen kurzen Satz zu uns dreien. Wir hörten wiederholt das Wort »glaucus« heraus – das hatten wir schon früher gehört, wenn sie sich unterhielten, da es in ihrer Sprache ein Fremdkörper zu sein schien –, und als Cuchiat nach oben deutete und uns begreiflich machte, dass wir alle zur Oberfläche gehen sollten, stimmten wir eifrig zu.
Und so kam es, dass wir alle, in Gewänder aus Phantomfell gekleidet und unter der Last unserer Rucksäcke in der hohen Schwerkraft gebückt, mit den Füßen über steinhartes Eis stapften und zu der im Eis begrabenen Stadt aufbrachen, um den Priester kennen zu lernen.
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Als endlich der Befehl ergeht, Pater Captain de Soya aus seinem Defacto-Hausarrest in der Pfarrei der Legionäre Christi freizulassen, kommt er nicht vom Heiligen Offizium der Inquisition, wie er erwartet hat, sondern von Monsignore Lucas Oddi persönlich, dem Unterstaatssekretär des Vatikanischen Außenministers, Seiner Eminenz Simon Augustino Kardinal Lourdusamy.
Für de Soya ist der Spaziergang nach Vatikanstadt und durch die Vatikanischen Gärten fast überwältigend. Alles, was er sieht und hört – der hellblaue Himmel von Pacem, das Zwitschern der Finken in den Birnenhainen, der leise Klang der Vesperglocken –, wühlt ihn emotional so sehr auf, dass er Tränen unterdrücken muss. Monsignore Oddi unterhält sich beim Spazierengehen mit ihm und lässt verhaltene Komplimente in den Klatsch und Tratsch aus dem Vatikan einfließen, sodass de Soya noch lange, nachdem sie den Teil des Gartens verlassen haben, wo Bienen in den Blumenbeeten summen, die Ohren klingeln.
De Soya konzentriert sich auf den hoch gewachsenen älteren Mann, der ihn mit raschen Schritten anführt. Oddi ist sehr groß und scheint voranzugleiten, so wenig Geräusche erzeugen seine Beine unter der langen Soutane. Das Gesicht des Monsignore ist schlank und ausdrucksstark, Jahrzehnte der Heiterkeit haben das Muster der Linien und Falten geformt, und die lange Hakennase scheint in der Luft des Vatikans nach Gerüchten und Geschichten zu schnüffeln. De Soya hat die Witze über Monsignore Oddi und Kardinal Lourdusamy gehört, den hoch gewachsenen, lustigen Mann und den riesigen, listigen Mann – wie sie zusammen fast komisch aussehen könnten, wäre da nicht die wahrhaft erschreckende Macht, welche die beiden in sich vereinigen.
De Soya ist kurz überrascht, als sie aus dem Garten kommen und einen der Außenfahrstühle betreten, über die man die Loggias des Vatikanpalastes erreichen kann. Schweizergarden in ihren prachtvollen uralten Uniformen mit den roten, blauen und orangefarbenen Streifen nehmen ruckartig Habtachtstellung ein, als die beiden Männer einen der Fahrstuhldrahtkäfige betreten und wieder herauskommen. Die Soldaten hier tragen lange Hellebarden, aber de Soya erinnert sich, dass sie als Pulsargewehre
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