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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Papst Alexander, das den Wissenschaften und den freien Künsten gewidmet ist –, schätzt de Soya allmählich die Wirkung der leuchtenden Farben, den extravaganten Zierat goldenen Laubs und die überbordenden Stuckverzierungen. Gemach V zeigt das Leben der Heiligen anhand von Fresken und Plastiken, besitzt aber eine stilisierte, nichtmenschliche Aura, die de Soya wiederum mit alten Bildern der ägyptischen Kunst von der Alten Erde in Verbindung bringt. Gemach VI, das Esszimmer des Papstes, zeigt, so der Monsignore, die Mysterien des Glaubens in einer Explosion von Farben und Gestalten, bei denen es de Soya buchstäblich den Atem verschlägt.
    Monsignore Oddi verweilt vor einem riesigen Fresko der Auferstehung und zeigt mit zwei Fingern auf eine Gestalt im Hintergrund, deren unendliches Leid trotz der im Lauf von Jahrhunderten verblassten Ölfarben spürbar ist. »Papst Alexander der Sechste«, sagt Oddi leise. »Der zweite der Borgia-Päpste.« Er bewegt die Hand fast geringschätzig zu zwei Männern, die auf dem dicht bevölkerten Fresko in der Nähe stehen. Beide sind von dem Leuchten und dem Gesichtsausdruck geprägt, die Heiligen vorbehalten sind. »Cesare Borgia«, sagt Oddi, »Papst Alexanders Bastard.
    Der Mann daneben ist Cesares Bruder... den er ermorden ließ. Die Tochter des Papstes, Lukrezia, war in Zimmer V... Sie haben sie vielleicht übersehen... die Heilige Jungfrau Katharina von Alexandria.«
    De Soya kann nur stumm schauen. Er blickt zur Decke und sieht das Muster, das in jedem Zimmer zu sehen war – der leuchtende Stier und die Krone, das Wappen der Borgia.
    »Das alles hat Pinturicchio gemalt«, sagt Monsignore Oddi und setzt sich wieder in Bewegung. »Sein richtiger Name war Bernardino di Betto, und er war ziemlich verrückt. Möglicherweise ein Diener der Finsternis.« Der Monsignore bleibt stehen und schaut noch einmal in das Zimmer zurück, während die Schweizergardisten Haltung einnehmen. »Und mit ziemlicher Sicherheit ein Genie«, sagt er leise. »Kommen Sie. Es wird Zeit für Ihre Verabredung.«
    Kardinal Lourdusamy wartet hinter einem langen, niederen Schreibtisch in Gemach VI, dem Sala dei Pontifici, dem so genannten Zimmer der Päpste. Der große Mann steht nicht auf, sondern rückt auf seinem Stuhl zur Seite, als Pater Captain de Soya angemeldet wird und die Erlaubnis bekommt, näher zu treten. De Soya sinkt auf ein Knie und küsst den Ring des Kardinals. Lourdusamy tätschelt dem Priester-Captain den Kopf und tut alle weiteren Förmlichkeiten mit einer Handbewegung ab. »Setzen Sie sich auf diesen Stuhl, mein Sohn. Machen Sie es sich gemütlich. Ich versichere Ihnen, dieser kleine Stuhl ist weitaus bequemer als dieser Thron mit der steifen Rückenlehne, den man für mich gefunden hat.«
    De Soya hat fast vergessen, welche Macht die Stimme des Kardinals besitzt: ein tiefes Bassgrollen, das ebenso sehr aus der Erde wie aus dem Körper des großen Mannes zu kommen scheint. Lourdusamy ist riesig, eine gewaltige Masse aus roter Seide, weißem Leinen und scharlachrotem Samt, ein geologisches Massiv von einem Mann, dessen Gipfel der Kopf mit dem kleinen Mund, den winzigen, lebhaften Augen über den Falten des Kinns bildet, gekrönt von einem fast kahlen Schädel und einer scharlachroten Haube.
    »Federico«, grollt der Kardinal, »ich bin so erfreut und entzückt, dass Sie so viele Tode und Mühen unbeschadet überstanden haben. Sie sehen gut aus, mein Sohn. Müde, aber gut.«
    »Danke, Euer Eminenz«, sagt de Soya. Monsignore Oddi hat sich einen Stuhl links von dem Priester-Captain genommen, etwas weiter entfernt vom Schreibtisch des Kardinals.
    »Und soweit ich weiß, haben Sie gestern vor dem Tribunal des Heiligen Offiziums ausgesagt«, knurrt Kardinal Lourdusamy, dessen Blick sich in de Soya bohrt.
    »Ja, Euer Eminenz.«
    »Keine Daumenschrauben, hoffe ich? Keine eisernen Jungfrauen oder glühende Eisen. Oder haben die Sie auf die Streckbank gelegt?« Das Kichern des Kardinals scheint in der breiten Brust des Mannes zu hallen.
    »Nein, Euer Eminenz.« De Soya bringt ein Lächeln zustande.
    »Gut, gut«, sagt der Kardinal, in dessen Ring sich das Licht eines zehn Meter hohen Leuchtkörpers spiegelt. Er beugt sich lächelnd nach vorn.
    »Als Seine Heiligkeit dem Heiligen Offizium befahl, seinen alten Titel wieder anzunehmen – die Inquisition –, dachten einige der Ungläubigen, die Tage des Wahnsinns und Terrors in der Kirche wären wieder angebrochen. Aber heute wissen sie es

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