Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
menschlichen Gestalt zusammenzufügen, die er nun vor sich sieht.
Vandrisse fängt an zu flüstern, und de Soya muss sich noch dichter über ihn beugen, sodass die Lippen des auferstandenen Priesters fast de Soyas Ohr berühren.
»Müssen... reden...«, bringt Vandrisse unter großer Anstrengung hervor.
De Soya nickt. »Ich habe in fünfzehn Minuten eine kurze Sitzung anberaumt. Meine beiden anderen Schiffskapitäne werden dabei sein. Wir stellen Ihnen einen Schwebestuhl zur Verfügung und...«
Vandrisse schüttelt den Kopf. »Keine... Sitzung. Botschaft... nur für...
Sie.«
De Soyas Gesicht bleibt ausdruckslos. »Na gut. Möchten Sie warten, bis es Ihnen besser...«
Wieder das gequälte Kopfschütteln. Die Haut des Priesters ist feucht und schwielig, als würden die Muskeln darunter sich abzeichnen. »Jetzt...«, flüstert er.
De Soya beugt sich dichter über ihn und wartet.
»Sie sollen... sofort... das... das Erzengel-Kurierschiff nehmen...«, keucht Vandrisse. »Das Ziel ist einprogrammiert.«
De Soyas Gesicht bleibt weiterhin ausdruckslos, aber er denkt: Also steht mir ein schmerzhafter Tod durch Beschleunigung bevor. Gütiger Heiland, konntest du diesen Kelch nicht an mir vorübergehen lassen?
»Was soll ich den anderen erzählen?«, fragt er.
Pater Vandrisse schüttelt den Kopf. »Sagen Sie ihnen nichts. Übergeben Sie Ihrem Ersten Offizier das Kommando über die... Balthasar. Den Oberbefehl über die Task Force übergeben Sie an Mater Commander Boulez. Die Task Force MAGI wird... andere... Befehle bekommen.«
»Werde ich über diese Befehle informiert?«, fragt de Soya. Sein Kiefer schmerzt, so sehr bemüht er sich, ruhig zu klingen. Bis vor dreißig Sekunden waren Überleben und Erfolg dieses Schiffes, seiner Task Force, der wichtigste Grund für seine Existenz gewesen.
»Nein«, sagt Vandrisse. »Diese... Befehle... haben nichts mit... Ihnen zu tun.«
Der auferstandene Priester ist blass vor Schmerzen und Erschöpfung. De Soya stellt fest, dass ihm diese Tatsache eine gewisse Freude bereitet, und spricht unverzüglich ein kurzes Gebet um Vergebung.
»Ich soll unverzüglich aufbrechen«, wiederholt de Soya. »Kann ich meine wenigen persönlichen Habseligkeiten mitnehmen?« Er denkt an die kleine Porzellanskulptur, die seine Schwester ihm kurz vor ihrem Tod auf Renaissance Vector gegeben hat. Das zerbrechliche Stück, das bei Manövern unter hoher Schwerkraft in einem Stasiskubus eingeschlossen ist, begleitet ihn schon die ganzen Jahre seiner Weltraumfahrten.
»Nein«, sagt Pater Vandrisse. »Gehen Sie... sofort. Nehmen Sie nichts mit.«
»Auf Befehl von...?«, will de Soya wissen.
Vandrisse runzelt unter seiner schmerzverzerrten Fratze die Stirn. »Auf direkten Befehl Seiner Heiligkeit Papst Julius XIV.«, sagt der Kurier. »Es handelt sich um Priorität Omega... womit alle anderen Befehle des Militärkommandos des Pax und der Spa-ComC-Flotte außer Kraft gesetzt werden. Haben... Sie... verstanden... Pater... Captain... de... Soya?«
»Ich verstehe«, sagt der Jesuit und neigt ergeben den Kopf.
Das Kurierschiff der Erzengel-Klasse hat keinen Namen. De Soya hat Kriegsschiffe nie als etwas Schönes betrachtet – kürbisförmig, Brücke und Waffensysteme zwergenhaft im Vergleich zu dem riesigen Hawking-Antrieb und den Fusionsschubkugeln für Manöver innerhalb von Sonnensystemen –, aber das Erzengel-Schiff nimmt sich im Vergleich ausgesprochen hässlich aus. Das Kurierschiff ist eine Masse von asymmetrischen Kugeln, Dodekaedern, Aufbauten, Verbindungskabeln und Kuppeln des Hawking-Antriebs, und die Passagierkabine wirkt wie hastig und achtlos inmitten des ganzen Plunders plaziert.
De Soya hatte sich kurz mit Hearn, Boulez und Stone beraten, aber nur erklärt, dass er abberufen wurde, und das Kommando an die frisch gebackenen – und erstaunten – Captains der Task Force und der Balthasar übergeben; danach war er mit einer Einmannzelle zu dem Erzengel-Schiff übergesetzt. De Soya versuchte, nicht zu seiner geliebten Balthasar zurückzuschauen, aber im letzten Augenblick, bevor er an das Kurierschiff andockte, drehte er sich doch um und warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Kriegsschiff, wo das Sonnenlicht einen sichelförmigen Sonnenaufgang auf einer wunderschönen Welt auf die kurvige Flanke malte, dann wandte er sich entschlossen ab.
Als er eingetreten ist, sieht er, dass das Erzengel-Schiff lediglich über die rudimentärste virtuelle taktische Kommandozentrale, manuelle
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