Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
sagte der alte Dichter scharf. »Aber das ist dann. Jahrtausende entfernt. Ich will, dass du das Shrike jetzt aufhältst.«
»Na gut«, sagte ich. Weshalb widersprechen?
Martin Silenus sank auf seinen Stuhl zurück, seine Energie schien offenbar verbraucht zu sein. Ich erblickte wieder die lebende Mumie in den Falten, den tief in den Höhlen liegenden Augen, den knochigen Fingern.
Aber in den Augen loderte immer noch das Feuer. Ich versuchte, mir die Kraft der Persönlichkeit dieses Mannes in seinen besten Jahren vorzustellen. Es gelang mir nicht.
Silenus nickte, worauf A. Bettik zwei Gläser brachte und Champagner einschenkte.
»Dann akzeptierst du, Raul Endymion?«, fragte der Dichter mit kräftiger und förmlicher Stimme. »Du akzeptierst diese Mission, Aenea zu retten, mit ihr zu reisen und diese anderen Sachen zu bewerkstelligen?«
»Unter einer Bedingung«, sagte ich.
Silenus wartete stirnrunzelnd.
»Ich möchte A. Bettik mitnehmen«, sagte ich. Der Androide stand immer noch am Tisch. Er hielt die Champagnerflasche in der Hand. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, und er drehte sich nicht zu einem von uns um oder ließ sich eine Gefühlsregung anmerken.
Der Dichter wirkte überrascht. »Meinen Androiden? Ist das dein Ernst?«
»Es ist mein Ernst.«
»A. Bettik war schon bei mir, bevor deine Ur-Urgroßmutter Titten hatte«, krächzte der Dichter. Er schlug mit seiner skelettartigen Hand so fest auf den Tisch, dass ich mir um seine morschen Knochen Sorgen machte. »A.
Bettik«, fauchte er. »Möchtest du mitgehen?«
Der Mann mit der blauen Haut nickte, ohne den Kopf zu drehen.
»Scheiß drauf«, sagte der Dichter. »Nimm ihn mit. Möchtest du sonst noch was, Raul Endymion? Vielleicht meinen Schwebstuhl? Mein Atmungsgerät? Meine Zähne?« »Sonst nichts«, sagte ich.
»Also, Raul Endymion«, sagte der Dichter wieder mit förmlicher Stimme, »akzeptierst du diese Mission? Bist du bereit, das Kind Aenea zu retten, ihm zu dienen und es zu beschützen, bis sich sein Schicksal erfüllt hat... oder bei dem Versuch zu sterben?«
»Ich akzeptiere«, sagte ich.
Martin Silenus hob das Weinglas, und ich ahmte die Bewegung nach. Zu spät dachte ich daran, dass der Androide mit uns trinken sollte, aber da brachte der alte Dichter schon seinen Trinkspruch aus.
»Auf die Torheit«, sagte er. »Auf den göttlichen Wahnsinn. Auf irrsinnige Unternehmungen und Erlöser, die aus der Wüste rufen. Auf den Tod der Tyrannen. Auf die Verwirrung unserer Feinde.«
Ich wollte das Glas an die Lippen führen, aber der alte Mann war noch nicht fertig.
»Auf Helden«, sagte er. »Auf Helden, die sich die Haare schneiden lassen.« Er trank den Champagner in einem Zug leer.
Und das tat ich auch.
9
Pater Captain Federico de Soya, der wieder geboren ist und – buchstäblich – mit den staunenden Augen eines Kindes sieht, überquert die Piazza San Pietro zwischen den eleganten Bögen von Berninis Säulengang und nähert sich der Basilika des Petersdomes. Der Tag ist wunderschön, kaltes Sonnenlicht, hellblauer Himmel und ein kühler Hauch in der Luft – Pacems einziger bewohnbarer Kontinent liegt hoch, fünfzehnhundert Meter über Standardmeereshöhe, und die Luft ist dünn, aber absurd sauerstoffreich –, und alles, was de Soya sehen kann, ist in leuchtendes Nachmittagslicht gebadet, das eine Aura um die prachtvollen Säulen und die Köpfe der vorübereilenden Menschen zaubert; Licht, welches die Marmorstatuen in Weiß einhüllt und die roten Roben der Bischöfe sowie die blauen, roten und orangefarbenen Streifen der Uniformen der Schweizergarde betont; Licht, welches den hohen Obelisken im Zentrum der Plaza ebenso bemalt wie die kannelierten Pilaster an der Fassade der Basilika und die große Kuppel selbst zum Gleißen bringt, die sich mehr als einhundert Meter über die Ebene des Platzes erhebt. Tauben spreizen die Schwingen und fangen das strahlende, horizontale Licht ein, während sie über dem Platz kreisen und ihre Flügel weiß vor dem Himmel wirken und dann dunkel vor der leuchtenden Kuppel des Petersdoms. Prozessionen ziehen auf beiden Seiten vorbei, einfache Priester in schwarzen Talaren mit rosa Knöpfen, die Bischöfe in Weiß mit roten Litzen, Kardinäle in Blut- und Magentarot, Bürger des Vatikans in ihren pechschwarzen Wämsern, Kniehosen und weißen Rüschen, Nonnen in raschelnder Tracht mit ausladenden weißen Flügelhauben, Priester und Priesterinnen in schlichtem Schwarz, Pax-Offiziere in
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