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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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die Geschichte machen, statt lediglich zuzusehen, wie sie an ihnen vorbeifließt wie Wasser um einen Felsen.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie da reden.« Natürlich wusste ich es, aber er konnte mich unmöglich so gut kennen.
    »Ich kenne dich so gut«, sagte Martin Silenus, der auf meine Gedanken, nicht auf meine letzte Bemerkung zu antworten schien.
    An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass mir nicht eine Sekunde in den Sinn kam, der alte Mann könnte ein Telepath sein. Erstens glaube ich nicht an Telepathie – besser gesagt, ich glaubte damals nicht daran –, und zweitens faszinierte mich der Gedanke weitaus mehr, dass ich hier einen Menschen vor mir hatte, der fast tausend Standardjahre alt war. Selbst wenn er wahnsinnig war, dachte ich, wäre es möglich, dass er gelernt hatte, das Mienenspiel von Gesichtern bis zu dem Punkt zu lesen, wo die Wirkung fast nicht mehr von Telepathie zu unterscheiden wäre!
    Vielleicht war es auch nur gut geraten.
    »Ich will kein Held sein«, sagte ich nüchtern. »Ich habe gesehen, was aus Helden wird, als meine Brigade losgeschickt wurde, um auf dem südlichen Kontinent gegen die Rebellen vorzugehen.«
    »Ahh, Ursus«, murmelte er. »Der südliche Polarbär. Hyperions nutzloseste Masse von Eis und Schlamm. Ich entsinne mich an Gerüchte über Unruhen dort.«
    Der Krieg dort hatte acht Hyperionjahre gedauert, Tausende von uns einheimischen Jungs waren umgekommen, weil wir dumm genug gewesen waren, uns freiwillig zur Heimatgarde zu melden, um dort zu kämpfen.
    Vielleicht war der alte Dichter doch nicht so scharfsinnig, wie ich mir einredete.
    »Ich meine nicht einen Helden wie die Idioten, die sich auf Plasmagranaten werfen«, fuhr er fort und leckte sich die dünnen Lippen blitzschnell wie eine Eidechse mit der Zunge. »Ich meine einen Helden wie jemanden, dessen Tapferkeit und Wohltätigkeit so legendär sind, dass er als Gottheit verehrt wird. Ich meine einen Helden im literarischen Sinn, einen Protagonisten von entscheidender Bedeutung, der tatkräftig handelt. Ich meine einen Helden, dessen tragische Fehler ihm zum Verhängnis werden.« Der Dichter verstummte und sah mich erwartungsvoll an, aber ich erwiderte seinen Blick schweigend.
    »Keine tragischen Fehler?«, sagte er schließlich. »Kein tatkräftiges Handeln?«
    »Ich will kein Held sein«, wiederholte ich.
    Der alte Mann beugte sich über seinen Kaffee. Als er wieder aufsah, hatte er ein schalkhaftes Funkeln in den Augen. »Wo lässt du dir dein Haar schneiden, Junge?«
    »Pardon?«
    Er leckte sich wieder die Lippen. »Du hast mich schon richtig verstanden.
    Dein Haar ist lang, aber nicht ungepflegt. Wo lässt du es schneiden?«
    Ich seufzte und sagte: »Manchmal, wenn ich lange Zeit in den Sümpfen war, habe ich es selbst geschnitten, aber wenn ich in Port Romance bin, gehe ich zu einem kleinen Laden in der Datoo Street.«
    »Ahhh«, sagte Silenus und lehnte sich auf seinem Stuhl mit der hohen Lehne zurück. »Ich kenne die Datoo Street. Sie liegt im Nacht-Bezirk.
    Mehr eine Gasse als eine Straße. Auf dem Wochenmarkt dort wurden Frettchen in vergoldeten Käfigen verkauft. Viele Straßenbarbiere boten ihre Dienste an; aber der beste Friseurladen gehörte einem alten Mann namens Palani Woo. Er hatte sechs Söhne, und wenn sie alt genug waren, stellte er für jeden einen neuen Stuhl in den Laden.« Die alten Augen sahen mich an, und wieder spürte ich die starke Persönlichkeit, die aus ihnen leuchtete.
    »Das war vor hundert Jahren«, sagte er.
    »Ich lasse mir bei Woo die Haare schneiden«, sagte ich. »Palani Woos Urenkel Kalakaua ist heute der Inhaber. Es sind immer noch sechs Stühle da.«
    »Ja«, sagte der Dichter und nickte bei sich. »Es gibt nicht allzu viele Veränderungen auf unserem guten alten Hyperion, Raul Endymion, oder?«
    »Ist das Ihre Pointe?«
    »Pointe?«, sagte er und breitete die Arme aus, als wollte er zeigen, dass er nichts so Gefährliches wie ein Ansinnen zu verbergen hatte. »Keine Pointe. Konversation, mein Junge. Es bereitet mir Vergnügen, an weltberühmte historische Gestalten zu denken, von den Helden zukünftiger Mythen ganz zu schweigen, die für ihren Haarschnitt bezahlen. Darüber habe ich übrigens schon vor Jahrhunderten nachgedacht... diese seltsame Kluft zwischen dem Stoff, aus dem die Mythen sind, und dem Stoff des Lebens. Weißt du, was ›Datoo‹ bedeutet?«
    Ich blinzelte angesichts dieses Themenwechsels. »Nein.«
    »Das ist ein Wind, der von Gibraltar weht. Er trug

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