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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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scharlachroten und schwarzen Paradeuniformen, wie de Soya heute selbst eine trägt, und eine Schar glücklicher Touristen oder ziviler Gäste – die in den Genuss des Privilegs einer Papstmesse kommen –, die ihre besten Kleidungsstücke angelegt haben, überwiegend schwarz, aber ausnahmslos teure Stoffe, bei denen selbst die schwärzeste Faser im Licht glänzt und schimmert. Die Massen strömen der schwindelerregenden Basilika des Petersdoms entgegen, und ihre Unterhaltungen sind gedämpft, ihr Benehmen ist aufgeregt, aber feierlich. Eine Papstmesse ist eine ernste Angelegenheit.
    In Begleitung von Pater Captain de Soya befinden sich an diesem Tag – nur vier Tage nach seinem tödlichen Aufbruch von der Task Force MAGI und einen Tag nach seiner Auferstehung – Pater Baggio, Captain Marget Wu und Monsignore Lucas Oddi: Baggio, plump und jovial, ist de Soyas Auferstehungskaplan; Wu, schlank und schweigsam, ist Adjutantin des Pax-Flottenadmirals Marusyn; und Oddi, siebenundachtzig Standardjahre alt, aber immer noch gesund und geistig rege, ist Faktotum und Unterstaatssekretär des mächtigen Vatikanischen Außenministers Simon Augustino Kardinal Lourdusamy. Man sagt, dass Kardinal Lourdusamy der zweitmächtigste Mann im Pax ist, das einzige Mitglied der römischen Kurie, dem Seine Heiligkeit ihre Aufmerksamkeit schenkt, und eine Person von Furcht einflößender Brillanz. Die Macht des Kardinals zeigt sich auch darin, dass er als Präfekt der Sacra Congregatio pro Gentium Evangelisatione se de Propaganda Fide fungiert – der legendären Kongregation für die Evangelisierung der Völker oder De Propaganda Fide.
    Für Pater Captain de Soya ist die Anwesenheit dieser beiden mächtigen Männer ebenso wenig überraschend oder erstaunlich wie das Sonnenlicht auf der Fassade über ihm, als die vier die breite Treppe der Basilika hinauf schreiten. Die Menge, die ohnehin leise ist, verstummt völlig, als sie hintereinander in den riesigen Innenraum gehen, an weiteren Schweizergardisten in Paradeuniform und Kampfanzügen vorbeikommen und das Kirchenschiff betreten. Hier ist selbst die Stille hallend, und de Soya ist zu Tränen gerührt angesichts der Schönheit des großen Raumes und der unsterblichen Kunstwerke, die sie auf dem Weg zu den Bänken passieren: Michelangelos Pietà ist in der ersten Kapelle rechts zu sehen; Arnolfo di Cambrios uralte Bronzestatue des Heiligen Petrus, deren rechter Fuß durch jahrhundertelanges Küssen poliert und geradezu abgeschliffen wurde; und – von unten strahlend beleuchtet – die atemberaubende Statue von Giuliana Falconieri Santa Vergine, die im sechzehnten Jahrhundert, vor mehr als fünfzehnhundert Jahren, von Pietro Campi geschaffen wurde.
    Pater Captain de Soya weint unverhohlen, als er sich mit Weihwasser bekreuzigt und Pater Baggio in die für sie reservierte Reihe folgt. Die drei Priester und die Offizierin des Pax knien zum Gebet nieder, während das letzte Schlurfen und Husten in dem gewaltigen Raum verstummt. In der Basilika herrscht jetzt fast völlige Dunkelheit, nur winzige Halogenleuchten strahlen die Kunstwerke und architektonischen Kostbarkeiten an, sodass sie wie Gold glänzen. Durch seine Tränen betrachtet de Soya die kannelierten Pilaster und die dunklen, barocken Bronzesäulen von Berninis Baldachino – dem vergoldeten und verzierten Altarhimmel, wo nur der Papst die Messe lesen darf – und denkt über die Wunder der letzten vierundzwanzig Stunden seit seiner Auferstehung nach. Ja, er hatte Schmerzen verspürt und Verwirrung – als würde er sich von einem besonders schlimmen Schlag auf den Kopf erholen –, und die Schmerzen waren umfassender und schrecklicher als alle Kopfschmerzen, als würde sich jede Zelle in seinem Körper an die Würdelosigkeit des Todes erinnern und noch jetzt dagegen rebellieren –, aber auch das Staunen hatte er erlebt.
    Staunen und Ehrfurcht angesichts der kleinsten Kleinigkeiten: der Geschmack der Brühe, mit der Pater Baggio ihn gefüttert hatte, der erste Blick auf den blauen Himmel von Pacem durch das Fenster der Pfarrei, die überwältigende Menschlichkeit der Gesichter, die er an diesem Tag gesehen hatte, die Stimmen, die er gehört hatte. Pater Captain de Soya, obschon ein feinfühliger Mann, hat, seit er ein Kind von fünf oder sechs Standardjahren war, nicht mehr geweint, aber an diesem Tag weint er...
    weint offen und ohne sich zu schämen. Jesus Christus hatte ihm zum zweiten Mal das Leben geschenkt, Gott der Herr hatte

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