Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
nur ihm allein bekannten Gründen den Harnisch abgeschnitten hat. Noch seltener – aber oft genug, dass man daran denkt – kommt es vor, dass jemand, der einen Groll im Herzen trägt oder psychopathische Neigungen hat, auf dem Kabel anhält, um eine Hemmklampe oder Nocke mit einer Sprungfeder daran zu befestigen, damit die nächste Person, die an der Leitung entlangrast, eine kleine Überraschung erlebt. Die Strafe für dieses Verbrechen ist der Tod durch einen Wurf von den höchsten Plattformen von Potala oder Jokung, aber das ist demjenigen, der als Erster auf die Hemmklampe oder Nocke trifft, ein schwacher Trost.
    Es kommt zu keiner der genannten Eventualitäten, als ich unter dem ultraleichten Kabel durch die Leere gleite. Das einzige Geräusch ist das leise Summen der Flaschenzugbremse, wenn ich meine Geschwindigkeit drossle, und das sanfte Rauschen der Luft. Wir sind immer noch im Sonnenschein, und auf dieser Welt herrscht später Frühling, aber oberhalb von achttausend Metern ist die Luft immer kalt. Bremsen ist kein Problem.
    Jeden Tag seit meiner Ankunft auf T’ien Shan danke ich den Göttern der Planetenevolution dafür, dass es trotz der minimal geringeren Schwerkraft hier – 0,954 Standard – in dieser Höhe mehr Sauerstoff gibt. Ich schaue zu den Wolken einige Klicks unter meinen Stiefeln hinab und denke an den schäumenden Ozean in dem unerträglichen Druck, der von Phosgen- und heftigen CO2-Winden gepeitscht wird. Es gibt keine richtige Landoberfläche auf T’ien Shan, lediglich diese dicke Suppe von einem planetenumspannenden Ozean und die zahllosen zerklüfteten Gipfel und Massive, die Tausende Meter bis in die O2-Schicht und das helle Sonnenlicht ragen, das an Hyperion erinnert.
    Erinnerungen bedrängen mich. Ich denke an eine andere Wolkenlandschaft, ein paar Monate früher. Ich denke an meinen ersten Tag im Schiff, vor Erreichen des Übergangspunkts, als mein Fieber und das gebrochene Bein heilten, als ich müßig zu dem Schiff sagte: »Ich frage mich, wie ich durch den Farcaster hier gelangt bin. Meine letzte Erinnerung ist die an einen gigantischen...«
    Das Schiff antwortete, indem es ein Holo abspielte, das seine Bojenkameras aufgenommen hatten, während es auf dem Grund des Flusses wartete, wo wir es zurückgelassen hatten. Es war ein mit verstärktem Sternenlicht aufgenommenes Bild – es regnete – und zeigte den grün leuchtenden Bogen des Farcasters und peitschende Baumwipfel. Plötzlich schnellte ein Tentakel durch die Farcasteröffnung, länger als das Schiff, der etwas trug, das wie ein Spielzeugkajak mit einer Masse zerfetztem Parasegelstoff aussah. Der Tentakel machte einen einzigen anmutigen Zeitlupenschwenk, worauf Parasegel, Kajak und die zusammengesunkene Gestalt im Cockpit einhundert Meter durch die Luft glitten – purzelten, genauer gesagt – und in den wogenden Wipfeln verschwanden.
    »Warum bist du mich dann nicht holen gekommen?«, fragte ich, ohne den Zorn in meiner Stimme zu verhehlen. Mein Bein tat immer noch weh.
    »Warum hast du die ganze Nacht gewartet, während ich dort auf dem Baum hing? Ich hätte sterben können.«
    »Ich hatte keine Anweisung, Sie nach Ihrer Rückkehr zu holen«, entgegnete die arrogante Fachidiotenstimme des Schiffs. »Sie hätten eine wichtige Angelegenheit erledigen können, die keinen Aufschub duldete.
    Hätte ich binnen mehrerer Tage nichts von Ihnen gehört, hätte ich eine Kriechdrohne in den Dschungel geschickt, um mich nach Ihrem Wohlbefinden zu erkundigen.«
    Ich erklärte dem Schiff, was ich von seiner Logik hielt.
    »Das ist eine seltsame Bezeichnung«, sagte das Schiff. »Ich besitze zwar gewisse organische Elemente, die in meine Substruktur eingebaut sind, sowie dezentralisierte DNA-Computerkomponenten, bin aber dennoch – im strengen Sinne des Wortes – kein biologischer Organismus. Ich habe keinen Verdauungsapparat. Keine Notwendigkeit zur Ausscheidung, abgesehen von gelegentlichen gasförmigen Abfallprodukten und Absonderungen der Passagiere. Aus diesem Grund besitze ich weder im wahren noch im übertragenen Sinne einen Anus. Ich denke, schon allein aus diesem Grund qualifiziere ich mich schwerlich dafür, dass man mich als...«
    »Halt den Mund«, sagte ich.
    Die Rutschpartie dauert keine fünfzehn Minuten. Ich bremse vorsichtig, als die immense Wand des Gebirgszugs K’un Lun in Sichtweite kommt. Die letzten fünfhundert Meter wird mein Schatten – und der von A. Bettik – vor uns auf die orangerot leuchtende

Weitere Kostenlose Bücher