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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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abgeschnitten gewesen ohne drei Videomonitore an der Wand links von uns. Echtzeitvideos der Feier wurden aus verschiedenen Positionen in dem Empfangssaal überspielt, und der Junge auf dem Thron und seine Gäste sahen gebannt zu.
    Wir blieben stehen, bis uns der Zeremonienmeister wieder weiterwinkte.
    Er flüsterte uns zu, als wir uns dem Thron näherten und der Dalai Lama sich in unsere Richtung wandte. »Es ist nicht erforderlich, sich zu verbeugen, bis Seine Heiligkeit die Hand hebt. Dann beugen Sie sich bitte nach vorn, bis er die Berührung abbricht.«
    Drei Schritte von der erhobenen Thronplattform mit ihren schimmernden Decken und drapierten Kissen entfernt blieben wir stehen. Carl Linga William Eiheji, der oberste Ausrufer, sagte mit leiser, aber hallender Stimme: »Eure Heiligkeit, die für die Bauarbeiten am Hsuan-k’ung Ssu zuständige Architektin und ihr Assistent.«
    Ihr Assistent? Ich folgte Aenea verwirrt mit einem Schritt Abstand, aber dankbar, dass der Ausrufer unsere Namen nicht genannt hatte. Ich konnte die fünf Abgesandten des Pax aus dem Augenwinkel sehen, doch das Protokoll verlangte, dass ich den Blick zwar auf den Dalai Lama gerichtet, aber gesenkt hielt.
    Aenea blieb am Rand der hohen Thronplattform stehen, hielt die Arme aber weiterhin ausgestreckt und den Schal straff zwischen den Händen gespannt. Der Zeremonienmeister legte mehrere Gegenstände auf den Schal, worauf der Junge die Hände ausstreckte, sie rasch nahm und rechts neben sich auf die Plattform legte. Als die Gegenstände verschwunden waren, trat ein Diener vor und nahm den weißen Schal weg. Aenea legte die Hände wie zum Gebet zusammen und beugte sich nach vorn. Der Junge lächelte sanft, als er sich vornüberneigte und meine Freundin – meine Geliebte – am Kopf berührte, indem er ihr die Finger wie eine Krone auf das braune Haar legte. Mir wurde klar, dass es sich um einen Segen handelte. Als er die Finger wegnahm, hob er einen roten Schal von einem Stapel neben sich auf und legte ihn in Aeneas linke Hand. Dann nahm er die rechte Hand und schüttelte sie, während sein Lächeln breiter wurde. Der Zeremonienmeister bedeutete Aenea gestikulierend, dass sie sich vor den niedrigeren Thron des Regenten stellen sollte, während ich nach vorne trat und dieselbe rasche Prozedur mit dem Dalai Lama hinter mich brachte.
    Mir blieb gerade Zeit genug, zu erkennen, dass es sich bei den Gegenständen, die auf den weißen Schal gelegt wurden, um ein kleines goldenes Relief in Form dreier Berge handelte, das, wie mir Aenea später erklärte, die Welt T’ien Shan darstellte; das Ebenbild eines menschlichen Körpers; ein stilisiertes Buch als Symbol für die Sprache; und der Umriss eines Chorten oder Tempels, der den Geist symbolisierte. Das Geben und Nehmen war vorbei, ehe mir Zeit blieb, etwas gründlicher zu studieren, und dann wurde mir der rote Schal in eine Hand gedrückt, während der Junge mir seine winzige Hand in die andere legte. Sein Handschlag war überraschend fest. Ich hielt den Blick gesenkt, konnte das breite Grinsen aber dennoch sehen. Ich trat zurück und stellte mich neben Aenea.
    Dieselbe Zeremonie wurde rasch mit dem Regenten wiederholt – weißer Schal, symbolische Gegenstände, die gegeben und genommen wurden, roter Schal. Aber der Regent schüttelte keinem von uns die Hand. Als wir den Segen des Regenten empfangen hatten, gab uns der Zeremonienmeister ein Zeichen, dass wir Köpfe und Blicke heben durften.
    Fast hätte ich nach der Lasertaschenlampe gegriffen und wild um mich geschossen. Neben dem Dalai Lama, seiner aus Mönchen bestehenden Dienerschaft, dem Zeremonienmeister, dem Staatsorakel, dem Obersten Ausrufer, dem kleinwüchsigen Kardinal und den drei Männern in schwarzen Soutanen stand eine Frau in einer rotschwarzen Uniform der Pax-Flotte. Sie war gerade hinter einem großen Priester hervorgetreten, so dass wir zum ersten Mal ihr Gesicht sehen konnten. Ihre dunklen Augen waren auf Aenea gerichtet. Das Haar der Frau war kurz, Ponysträhnen ohne Spannkraft hingen ihr in die Stirn. Ihre Haut wirkte blass. Ihr Blick war der eines Reptils – distanziert und gebannt zugleich.
    Es war das Ding, das vor rund fünf meiner Jahre – für Aenea waren es mehr als zehn – auf God’s Grove versucht hatte, Aenea, A. Bettik und mich zu töten. Es war die nichtmenschliche Killermaschine, die das Shrike besiegt hatte und Aeneas Kopf in einer Plastiktüte mitgenommen hätte, hätte Pater Captain de Soya nicht von seinem

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