Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Thron, sitzt der Regent, der – in Absprache mit anderen Hohepriestern – regiert, bis Seine Heiligkeit der Dalai Lama mit achtzehn Standardjahren volljährig wird. Aenea hat mir von diesem Regenten erzählt, einem Mann namens Reting Tokra, dem man nachsagt, dass er buchstäblich die Inkarnation der Verschlagenheit sei, aber von meiner Position aus kann ich nur die übliche rote Robe und ein schmales, verkniffenes braunes Gesicht mit Schlitzaugen und einem dünnen Schnurrbart erkennen.
Links von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama sitzt der Oberzeremonienmeister, Abt der Äbte. Dieser Mann ist ziemlich alt und lächelt den Phalanxen der Gäste breit zu. Links von ihm ist das Staatsorakel, eine dünne junge Frau mit kurz geschorenem Haar und einem gelben Leinenhemd unter ihrem roten Gewand. Aenea hat mir erklärt, dass es Aufgabe des Staatsorakels ist, in tiefer Trance die Zukunft vorherzusagen. Links vom Staatsorakel stehen fünf Emissäre des Pax, deren Gesichter weitgehend von den vergoldeten Säulen des Throns des Dalai Lama verdeckt werden – ich kann einen kleinwüchsigen Mann in Kardinalsrot erkennen, drei Gestalten in schwarzen Soutanen und mindestens eine militärische Uniform.
Rechts vom Thron des Regenten steht der Oberste Ausrufer und Chef der Wachen Seiner Heiligkeit, der legendäre Carl Linga William Eiheji, Zen-Bogenschütze, Aquarellmaler, Karatemeister, Philosoph, ehemaliger Flieger und Blumenbinder. Eiheji scheint aus stählernen, von nichts als Muskeln umhüllten Sprungfedern zu bestehen, als er vortritt und die riesige Halle mit seiner Stimme füllt:
»Verehrte Gäste, Besucher von jenseits unserer Welt, Dugpas, Drukpas, Drungpas – jene von den höchsten Kuppen, den edlen Klüften und den bewaldeten Talhängen –, Dzasas, geehrte Würdenträger, Rote Hüte und Gelbe Hüte, Mönche, Äbte, Getsel -Novizen, Ko-sas des vierten Rangs und aller höheren Ränge, Gesegnete, die das Su gi tragen, Frauen und Männer der so Geehrten, nach Erleuchtung Suchende, es ist mir ein Vergnügen, euch alle heute Abend hier begrüßen zu dürfen im Namen Seiner Heiligkeit, Getswang Ngwang Lobsang Tengin Gyapso Sisunwangyur Tshungpa Mapai Dhepal Sangpo – der Heilige, der Sanfte Ruhm, Machtvoll in der Sprache, Rein im Geiste, von Göttlicher Weisheit, Hüter des Glaubens, Meeresweit!«
Die kleinen Trompeten aus Messing und Knochen geben hohe, klare Töne von sich. Die großen Hörner bellen wie Dinosaurier. Der Gong jagt Vibrationen durch unsere Knochen und Zähne.
Der Oberste Ausrufer Eiheji tritt zurück. Seine Heiligkeit der Dalai Lama spricht, seine Kinderstimme ertönt leise, aber deutlich in dem großen Raum.
»Danke, dass ihr alle an diesem Abend gekommen seid. Wir werden unsere neuen Freunde des Pax in einer intimeren Umgebung willkommen heißen. Viele von euch haben darum gebeten, mich zu sehen... ihr werdet heute Abend in einer Privataudienz meinen Segen empfangen. Ich habe darum gebeten, mit einigen von euch sprechen zu dürfen. Ihr werdet heute Abend zu einer Privataudienz gebeten. Unsere Freunde des Pax werden heute Abend und in den kommenden Tagen mit vielen von euch sprechen.
Wenn ihr mit ihnen redet, bedenkt bitte, dass sie unsere Brüder und Schwestern in Dharma sind, auf der Suche nach Erleuchtung. Bitte bedenkt, dass unser Atem ihr Atem ist und unser aller Atem der Atem Buddhas. Danke. Bitte genießt unser Fest heute Nacht.«
Und damit gleiten das Podest, der Thron und alles lautlos durch eine Öffnung in der Wand zurück, werden mit einem Vorhang verborgen, dann noch einem Vorhang, dann der Wand selbst, die sich wieder schließt, worauf die Tausende in dem Empfangssaal ausatmen wie aus einem Munde.
Der Abend war, soweit ich mich erinnere, eine fast surreale Kombination von einem Ball, der um einen förmlichen päpstlichen Empfang kreiste.
Natürlich hatte ich noch nie einen päpstlichen Empfang miterlebt – der geheimnisvolle Kardinal auf der inzwischen verhüllten Empore war der höchste Kirchendiener, dem ich in meinem Leben begegnet war –, aber die Aufregung derer, die vom Dalai Lama empfangen wurden, muss vergleichbar mit der von Christen gewesen sein, die dem Papst begegnen, und Pomp und Aufwand, die betrieben wurden, waren eindrucksvoll.
Soldaten-Mönche in roten Roben mit gelben oder roten Hüten eskortierten die wenigen Glücklichen durch die zugezogenen Vorhänge und dann durch weitere Vorhänge und zuletzt durch eine Tür in der Wand zum Dalai Lama, während wir anderen
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