Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
menschlichen Rasse, die der Kruziform entkommen.
Und in den Zellen ihrer Kinder. Ich hätte es nicht tun können, wenn ich nicht von Aenea gelernt hätte. Ich hätte die Stimmen nicht hören können, die ich jetzt hörte – gewaltigere Chöre, als ich sie jemals vernommen hatte
–, hätte ich Grammatik und Syntax der Sprache der Toten und der Lebenden nicht in den Monaten verfeinert, die ich an meiner Erzählung gearbeitet und auf den Tod gewartet hatte.
Ich hätte es nicht tun können, wurde mir klar, wenn ich unsterblich gewesen wäre. Dieses Maß der Liebe zum Leben und zu anderen, das sah ich jetzt ein für alle Mal, wird Unsterblichen niemals zuteil, sondern nur denen, die eine kurze Zeit leben und immer im Schatten von Tod und Verlust.
Als ich da stand, den anschwellenden Akkorden der Sphärenmusik lauschte und in der Lage war, die ersten Stimmen von Sternen in dem Chor herauszuhören – die von Martin Silenus, noch am Leben, aber gebrechlich, auf meinem Heimatplaneten Hyperion, die von Theo auf dem wunderschönen Maui-Covenant, die von Rachel auf Barnards Welt, die von Oberst Kassad auf dem roten Mars, die von Pater de Soya auf Pacem – und sogar die lieblichen Akkorde der Toten, die von Dem Ria auf Vitus-Gray-Balianus B, die des lieben Paters Glaucus auf dem eisigen Sol Draconi Septem, die Stimme meiner Mutter wieder auf dem fernen Hyperion –, hörte ich auch die Worte von John Keats in seiner Stimme, in der von Martin Silenus und in der von Aenea:
»Das ist das Menschenleben: Ernst und Spiel,
Die Angst und die Enttäuschung, Tat und Krieg,
Der Kampf der Fantasien und ihr Sieg
Sind menschlich; in sich tragen sie dies Gut,
Sind Lebensluft ihm, Nahrung seinem Mut,
Dass er das Dasein liebt und doch ermisst,
Wie sanft der Tod. Wo immer Erdreich ist,
Erwächst der Mensch, Unkraut und Frucht zu tragen;
Nur ich hob keinen Platz, um hier Wurzeln zu schlagen.«
Aber auf mich traf im Moment gerade das Gegenteil zu – ich hatte mehr als genug Platz, um Wurzeln zu schlagen. In diesem Augenblick wurde das Universum tiefer, die Sphärenmusik schwoll von einem bloßen Chor zu einer Symphonie an, so triumphal wie Beethovens Neunte, und ich wusste, ich würde sie immer hören können, wenn ich es wollte oder musste, würde sie immer nutzen können, um den Schritt zu tun, den ich tun musste, um diejenige zu sehen, die ich liebte, oder, falls das nicht möglich war, den Schritt an einen Ort, wo ich mit derjenigen gewesen war, die ich liebte, oder, falls auch das nicht möglich war, um einen Ort zu suchen, den ich um seiner Schönheit und seiner Fruchtbarkeit willen lieben konnte.
Da erfüllte mich die Energie von Quasaren und explodierenden stellaren Nuklei. Ich wurde von Energiewellen emporgetragen, die liebreizender und lyrischer waren als selbst die Schwingen der Ouster-Engel, die in Korridoren des Sonnenlichts dahinglitten. Die Schale tödlicher Energie, die mein Gefängnis und meine Todeszelle war, kam mir jetzt lächerlich vor, Schrödingers ursprünglicher Witz, das Springseil eines Kindes, das als Mauer, mich zu halten, um meine Knöchel gelegt worden war.
Ich trat aus der Schrödinger-Katzenkiste und aus dem Armaghast-System.
Als die Mauern des Schrödinger-Gefängnisses für immer hinter mir zurückblieben und ich überall und nirgends im Raum existierte, aber mein Körper materiell unversehrt blieb, samt Stift und Textschiefer, da verspürte ich einen Augenblick lang eine Woge des Hochgefühls, so übermächtig wie das Schwindelgefühl des Solo-Farcastens selbst. Frei! Ich war frei! Die Welle der Freude war so intensiv, dass ich weinen, in das umliegende Licht des Nicht-Raums schreien, meine Stimme mit dem Chor der Stimmen der Lebenden und der Toten vereinigen wollte, um mit der kristallklaren Symphonie der Sphären zu singen, die wie eine solide akustische Brandung rings um mich herum toste. Endlich frei!
Und dann fiel mir ein, dass der einzige Grund, frei zu sein, die einzige Person, die diese Freiheit erstrebenswert machte, nicht mehr da war. Aenea war tot. Die reine Glückseligkeit angesichts meiner Flucht erlosch plötzlich und vollkommen und wich einer profunden Befriedigung darüber, nach so vielen Monaten der Gefangenschaft entkommen zu sein. Für mich hatte das Universum vielleicht keine Farbe mehr, aber wenigstens konnte ich in diesem monotonen Reich nun gehen, wohin ich wollte.
Aber wohin sollte ich gehen? Ich schwebte auf Licht, freicastete mit Stift und Textschiefer unter dem
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