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Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches

Titel: Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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Schneegeriesel - das Wasserzeichen im Papier.
    Hinter ihm knirschten Schritte im Schnee. Jemand kam näher. Blake drehte sich um und sah, wie unter den froststarren Bäumen jenseits der freien Fläche ein Mann auftauchte. Sein bartloses Gesicht sah aus wie abgeschabtes Holz. Er trug einen weiten Umhang mit Pelzkragen, braune Beinkleider und Lederschuhe ohne Schnürbänder. Hinter sich her zog er einen gefällten Baum.
    Blake rieb sich die Augen: Die Farbe der Blätter wechselte von Blutrot zu Weiß, während sie über den Schnee glitten.
    Auf den Schultern des Mannes saß ein kleines Mädchen mit flammend rotbraunem Haar. Sie trug einen schmutzigen Kittel, und ihre zerrissenen Strümpfe waren fleckig. Tränenspuren zogen sich über ihre Wangen. Als sie Blake sah, erhellte sich ihre Miene, sie lächelte und streckte ihm eine verletzte Hand entgegen, aber ihre Finger glitten durch seine hindurch wie Geisterfinger - der Hauch einer Berührung, fein wie von Spinnweben. Blake trat zurück und sah zu, wie der Mann wortlos vorüberstapfte - ohne einen Blick in seine Richtung. Das Paar verschwand hinter einer Hügelkuppe.
    Auf einmal standen seine Eltern neben ihm, Dad links und Mam rechts. Blake fasste mit seinen behandschuhten Händen nach ihnen, aber sie rissen sich los und gingen wortlos in entgegengesetzten Richtungen über den Schnee davon. Blake wollte hinter ihnen herlaufen, aber weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er Mam oder Dad folgen sollte, blieb er reglos stehen. Allein. Tränen stiegen ihm in die Augen und ließen die Sicht verschwimmen.
    Dann, während er so unglücklich im Schnee stand, erhaschte er einen Blick auf etwas Gelbes - es war Duck. Seine Schwester Duck, so, wie sie vor dem Großen Streit gewesen war. Unter ihrer zurückgeschobenen Kapuze quoll ein Wust von Haaren hervor, die strubbelige, nicht zu bändigende Frisur eines Wildfangs. Sie starrte auf etwas im Schnee, sie rief, er solle kommen und selber sehen, aber ihre Worte standen gedruckt in einer Atemwolke, und Blake las sie mehr, als dass er sie hörte.
    Er wollte zu ihr hinrennen, aber wie sehr er sich auch abmühte, er konnte sie nicht erreichen. Der Schnee war zu tief und seine Beine waren zu schwer. Wie von Ketten wurde er zu Boden gezogen. Dann verschwand auch Duck, und er brach im Schnee zusammen, zu kraftlos und zu einsam, um weiterzugehen.
    Die Grenzen seines Traums verschoben sich langsam. Ein Wind kam auf, Blake wurde plötzlich wie ein befreiter Schneeengel in die Luft getragen, und die Felder unter ihm wurden kleiner und kleiner. Dann aber machte sein Herz einen Hüpfer: Genau an der Stelle, wo Duck verschwunden war, endete eine Fußspur im Schnee.
    Die Spur bildete ein überdimensionales Fragezeichen.
    Hier zerplatzte sein Traum, und er schoss abwärts wie ein Fallschirmspringer ohne Fallschirm. Sein Kopf landete mit der Wucht eines Schneeballs auf dem Kissen. Verzweifelt versuchte er, die Zeilen von Endymion Springs Gedicht festzuhalten, aber er konnte sich nur noch an den Schnee erinnern.
    Er drehte sich um und schlief wieder ein.
     

Mainz
    Frühjahr 1453
     
     

     
     

 
    ie Stille weckte mich. Etwas war anders als sonst. Ich öffnete die Augen, blinzelte ins Halbdunkel und versuchte angestrengt, irgendein Geräusch, irgendeine Bewegung auszumachen, aber da war nichts. Nur ein silbriger Streifen Mondlicht lag über dem Boden. Dunkelheit hüllte mich ein, dick wie Samt.Peter war nun schon seit Monaten mein Schlafgenosse. Er hielt mich mit seinem Zucken und Kratzen wach und zeigte mir jeden Flohstich — aber von den Träumen, die ihn plagten, erzählte er mir kein Wort. Trotzdem war ich dankbar für seine Gesellschaft: Die Bärenwärme seines großen Körpers hatte mich vor der Kälte der Winternächte geschützt, als Schnee die Dächer der Stadt bedeckt hatte und eisige Luft durch die Ritzen des Hauses gekrochen war.
    Endlich war der Frühling gekommen. Bauern und Winzer bestellten wieder ihre Felder und Weingärten. Menschen gingen mit neuem Mut über die aufgetauten Wege und Gassen, auf den Zungen schon die neu belebte Erinnerung an frisches Obst. Der zugefrorene Fluss hatte endlich den Weg für die Handelsschiffe freigegeben, die den Rhein hinauf- und hinabfuhren.
    Seit Beginn des Jahres hatte uns Meister Gutenberg gedrängt, Probeauszüge des Bibeldrucks für die Messe in Frankfurt vorzubereiten, die in wenigen Tagen beginnen würde. Das Geld von Fust hatte er kurz entschlossen für weitere Schriftsetzer und

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