Endzeit
Ihr? Was wollt ihr mit ihm tun?«
»Er ist ein Dämon«, erklärte Antef, während er um die Bahre herumschritt. »Und in den alten Schriften steht, wie man ihn vernichten könnte.«
»Man enthauptet ihn, durchstößt ihm das Herz oder entreißt es seiner Brust.« Mentuhoteps Stimme klang weiterhin monoton. »Oder man setzt ihn den Strahlen der Sonne aus, um ihn zu verbrennen.«
Rahotep schauderte bei dem Gedanken erneut.
Antef ergriff wieder das Wort: »Er ist gleichzeitig aber auch König.
Und töten dürfen wir ihn somit nicht. Das würde man uns in der Halle der Wahrheit zu unseren Ungunsten anrechnen.«
Der Wesir verstand, was er meinte. Nach der Religion des Reiches kam jeder Tote in die sogenannte Halle der Wahrheit, einem Totengericht, vor das er von Anubis geführt wurde. Osiris war oberster Richter, und zweiundvierzig Dämonen nahmen den Toten in ein strenges Verhör, während der Gott Thot alles niederschrieb.
Schließlich wurde das Herz des Toten von Anubis in die Schale einer Waage gestellt. In eine zweite Schale kam eine Figur der Göttin Maat, der Göttin der Wahrheit und des Rechts. Und wenn die Waage zu Ungunsten des Prüflings ausschlug, wurde er der Großen Fresserin, einem krokodilköpfigen Ungeheuer, überlassen.
Keine angenehme Vorstellung. Rahotep verstand die Befürchtungen der beiden Hohepriester, konnte sich aber keinen Reim darauf machen, was sie nun vorhatten.
Antef gab dem Mumienmeister einen Wink.
»Wir werden den König nicht töten«, sagte er zu Rahotep. »Wir lassen den Dämon, der in seinen Leib gefahren ist, am Leben. Aber wir werden ihn in einem Grabmal bestatten, als wäre er tatsächlich gestorben.«
Sethos, der Mumienmeister, griff nach einem Dolch und gab seinen Helfern leise Anweisungen. Dann blickte er zu den Hohepriestern hinüber.
»Wir werden einen würdigen Nachfolger finden. Aber der Name Ramses' XII. wird aus der Geschichte getilgt, als hätte es ihn nie gegeben.«
Mentuhotep nickte nach dieser Erklärung dem Mumienmeister zu. »Laßt uns beginnen .«
*
Rahotep wohnte, im Gegensatz zu den beiden Hohepriestern, nicht jedem Schritt der Mumifizierung bei. Zum einen wurde seine Gegenwart auch gar nicht aus rituellen Gründen verlangt, zum anderen hatte ihn das, was er miterleben mußte, zutiefst verwirrt. Mit der nicht einmal falschen Erklärung, daß sich jemand um die Staatsgeschäfte kümmern müsse, zog er sich irgendwann im Laufe der nächsten Tage von den Geschehnissen in der königlichen Mumienwerkstatt zurück.
Er war Zeuge gewesen, wie Sethos und seine Helfer den Leib des untoten Pharaos ausgeweidet hatten, hatte mitangesehen - und mitangehört -, wie man die linke Flanke des Besessenen geöffnet und durch diesen Schnitt nacheinander alle inneren Organe entfernt hatte - bis auf das Herz, das an seiner Stelle blieb, wie es die Tradition forderte.
Rahotep hatte die Schreie des Wesens gehört, das einmal Ramses XII. gewesen war, als man anschließend die leeren Körperhöhlen mit Wasser und Palmwein gründlich reinigte. Und er hatte es nicht verstehen können, wie immer noch Leben in diesem Leib stecken konnte - und wie das Wesen den zugefügten Schmerz ertrug.
Während die entnommenen Eingeweide separat mumifiziert wurden, füllten die Männer des Sethos den Leichnam mit trockenem Natron, um den Leib zu entwässern. So ließ man den Körper des untoten Königs mehrere Wochen liegen, so daß mit jedem vergangenen Tag das Gewebe nach und nach den Großteil seines Wassers verlor, bis Ramses XII. nicht mehr als ein bis aufs Skelett abgemagertes Abbild seiner selbst war - das sich aber immer noch knurrend unter seinen Fesseln wand und nach den Armen der arbeitenden Helfer zu schnappen versuchte. Unglaublich, wieviel Kraft noch in diesem ausgemergelten Leib steckte .
Danach hielt sich Rahotep von der Mumienwerkstatt fern und erkundigte sich lediglich bei den Hohepriestern nach dem aktuellen Stand der Dinge. Es genügte ihm völlig, nur zu hören, was weiter geschah .
Nach Ablauf von sechs Wochen stopften die Helfer des Mumien-meisters den Leichnam sorgfältig mit Lehm, Sand, trockenen Flechten, Wachs und harzgetränkten Binden aus, um den mumifizierten Körper möglichst naturgetreu wiederherzustellen. Sethos unterfütterte außerdem vereinzelte Stellen der Haut mit Lehm, um sie anschließend zu modellieren.
Dann erfolgte die Bandagierung, die sich besonders schwierig gestaltete, da der Untote heftigste Gegenwehr leistete, während man zuerst Kopf,
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