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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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meinem Kopf. Wann immer ich mir Maman vorstelle, bin ich wieder elf Jahre alt. Doch ich höre nicht auf sie. Und nicht auf meinen Vater. Auch er ist hier, aber so, wie er früher war, mit seiner Freundlichkeit, seinen harmlosen Witzen und seiner Kultiviertheit. Wenn es ein Wort gibt, das ihn und das, was er am Leben schätzte, treffend beschreibt, so lautet es »zivilisiert«.
Das ist nicht zivilisiert,
sagt er jetzt
.
    Nein, Dad. Und es tut mir leid. Aber so ist es nun mal. Als ich nackt im Dreck liege, stelle ich mir vor, wie mein Körper sich auflöst und mit der Erdkruste verschmilzt, wie mein Fleisch verfault und meine Knochen zu Fossilien versteinern.
    Dann höre ich einen Schrei. Frazer Melville ruft mich. Müde blicke ich auf. Er kommt vom Haus in meine Richtung gelaufen. Er sieht verstört aus. Ich versuche, ein bisschen Würde zu bewahren, setze mich auf und bedecke mich mit dem Handtuch.
    »Was ist passiert? Was hat sie getan? Hat sie dir wehgetan?« Er hockt sich keuchend neben mich und ergreift meinen Arm, legt die Hand auf meinen Rücken. »Mein Gott, du bist eiskalt!«
    »Lass mich los!« Mit einer heftigen Bewegung schüttle ich seine Hand ab.
    »Du stehst unter Schock. Ganz ruhig, ich bin ja hier.« Er |313| ist ganz außer sich. Ich ziehe mit dem Finger eine Linie in den Schlamm, ganz tief. Die sollte er besser nicht überschreiten.
    »Du musst mir sagen, was passiert ist!«, fleht er. »Was machst du hier draußen? Warum tust du, als würdest du mich hassen?«
    »Weil ich dich hasse!« Jetzt brauche ich seine Hilfe, um in den Rollstuhl zu gelangen, und hasse ihn auch dafür. Er sieht verblüfft aus, wie geohrfeigt. Verwirrt. Dann entsetzt.
    »Aber warum? Was habe ich getan?«
    »Das weißt du ganz gut!« Ich greife nach meinem Rollstuhl, komme aber nicht hinein. Er stellt ihn wieder richtig hin, zieht mich an den Armen hoch – ich lasse es aus praktischen Erwägungen zu und verachte mich dafür – und setzt mich hinein. Nun bin ich frei und rolle hastig nach hinten, vergesse aber die Kante der Betonplattform. Der Rollstuhl kippt, er kann ihn gerade noch auffangen.
    »Ich habe überhaupt nichts getan!«
    »Natürlich nicht. Und das soll ich dir glauben? Wo ich dich doch mit ihr gesehen habe?« Ich schwenke herum und rolle so schnell wie möglich den Weg entlang. Er hält einen Griff fest und baut sich in Augenhöhe vor mir auf.
    »Wann hast du mich mit wem gesehen?«
    »Mit Kristin!«
    »Kristin?«
    »Bei dir zu Hause. Abends. Du hast die Jalousien zugemacht. Und am nächsten Tag hast du gelogen und behauptet, du seiest im Büro gewesen.«
    »Ja, Kristin war bei mir zu Hause! Ich habe ihr Bethanys Zeichnungen gezeigt, und wir haben geredet, das war alles. Ach ja, die Jalousien habe ich geschlossen. Was offensichtlich eines der klassischen Anzeichen für Untreue ist!«, brüllt er. »Wenn du das glaubst, bist du ebenso verrückt wie Bethany! Ich habe dir nichts davon erzählt, weil wir wussten, dass wir Bethany entführen müssen. Ich wollte dich nicht mit hineinziehen. Wie konntest du glauben   …«
    |314| »Ich wollte zu dir, und sie war da, und da habe ich natürlich gedacht   …«
    »Das ist überhaupt nicht natürlich!«
    »Wenn man so ist wie ich, schon! Und Bethany hat gesagt   …« Aber ich kann es nicht aussprechen. Tränen und Zorn kommen mir in die Quere.
    » Bethany!
Sag bloß, du glaubst
ihr
?«, schreit er.
    »Wir glauben ihr beide! Darum sind wir doch hier, oder?«
    »Aber du hast ihr geglaubt, was mich und Kristin angeht? Was haben wir denn angeblich gemacht? Eine Affäre gehabt? Wie konntest du nur?« Sein Zorn ist echt. »Wie konntest du mich nur so beleidigen?«
    »Dann sag, dass es nicht wahr ist!«, brülle ich. »Na los, sag’s schon.«
    »Hör auf. Hör auf. Sieh mich an. Ich liebe dich. Merkst du das denn nicht, Gabrielle? Ich liebe dich!«
    Aber ich kann nicht aufhören. Noch nicht. »Nein! Ich merke es nicht, wie sollte ich? Wie sollte es irgendjemand merken? Sieh mich an! Ich fühle es nicht einmal, wenn du in mir bist, begreifst du das?
Ich kann da unten gar nichts fühlen! «
    »Das ist mir egal! Verstehst du? Wenn wir uns lieben, liebe ich deinen ganzen Körper! Nicht nur das bisschen, das nichts fühlen kann, kapier das doch!« Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich.
    Ich will mich befreien, aber er lässt nicht los. Wir umklammern einander. Ich kämpfe gegen ihn, obwohl ich die Wahrheit spüre und mich schämen sollte, doch mein Zorn führt ein

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