Endzeit
Landes, also dass wenig Leute übrigbleiben.
Gott stellt uns irdische Wesen vor eine Herausforderung. Aber ihr dürft nicht erwarten, dass alle seine Wege verstehen. Johannes, Kapitel 3:
Es sei denn, dass jemand von Neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen
.«
Amen, murmelt die Gemeinde inbrünstig.
Das traute Familienleben der Kralls. Ich möchte Fragen stellen. Haben Bethany und ihre Eltern zusammen auf dem Ledersofa gesessen und DVDs mit Heilsverkündigungen angeschaut? Hat |176| Karen Krall dafür gesorgt, dass ihre Tochter täglich fünf Portionen Obst und Gemüse zu sich nahm, wie vom Gesundheitsministerium empfohlen? Ist Bethany regelmäßig in diese Kirche gekommen, um Leonard predigen zu hören? Wie sieht es mit der Vergebung aus, wenn die eigene Tochter deiner Frau einen Schraubenzieher ins Auge stößt?
»Als Istanbul dem Erdboden gleichgemacht wurde«, fährt Krall fort, »bestätigte dies nur ein tiefes Wissen, ein Wissen, das von der
Glaubenswelle
getragen wird, der wir angehören: Die Endzeit ist nahe. Ihr Menschen, wir haben nichts zu befürchten. Angst ist die Waffe, die der Teufel gegen uns einsetzt, und wir werden ihm nicht den Sieg überlassen. Wir wissen, dass wir sicher sind und der Herr uns beschützen wird. Doch was ist mit unseren Liebsten und mit all jenen, die nicht gerettet werden, die Gottes Liebe nicht gefunden haben?«
Das Publikum murmelt zustimmend. In der Schule bei den Nonnen habe ich gelernt, dass man die schiere Kraft des Glaubens niemals unterschätzen darf. Die Unerschütterlichkeit des wahren Glaubens. Leonard Krall besitzt sie.
»Wir wurden auserwählt, in diesen Zeiten zu leben und sie zu deuten«, sagt er. »Also werden wir dem Teufel gegenübertreten, der die von Gott erschaffene Erde zerstört und den Atheismus verbreitet, und wir werden die Rückkehr des Messias, des großen Erlösers, erwarten. Denn so wie wir ihn fallen sahen, so wird er auch wieder erstehen!« Während er noch immer energisch auf und ab läuft, gleitet er nahtlos in einen Gesang über; aus dem Keyboard erklingt ein Akkord, der ihn begleitet.
»So wird er erstehen, so wird er erstehen, so wird er erstehen, erstehen, erstehen!«
Er hebt die Hände, und die Menschen springen auf und singen vom
Erstandenen, Auserwählten, Heiligen.
Ich klatsche im Rhythmus mit. Wieder diese physiologische Reaktion: Mein Herz geht auf, ein Lächeln tritt auf mein Gesicht, und ich spüre einfach Freude. Am Ende des Liedes bleibt die Gemeinde stehen und |177| versperrt mir die Sicht. Ich rolle ein Stück in den Gang. Krall hat den Kopf gesenkt und die Faust in der Luft, wobei er ein dunkel behaartes Handgelenk, eine silberne Uhr, eine weiße Manschette entblößt. Seine Energie ist intim, fast sexuell. Er hat die Augen geschlossen, und sein Körper erbebt, was auf einen Stimmungswechsel hindeutet. Als er weiterspricht, den Kopf fast träge in den Nacken gelegt, liegt eine ruhige Kraft in seiner Stimme.
»Wir werden unter den Geretteten sein, und wir werden unser Bestes geben, um die Herzen all jener zu bekehren, die wir kennen und lieben und die noch nicht die Gnade Gottes gefunden haben, auf dass auch sie gerettet werden. Psalm 25, Vers 4:
Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige
. Niemand auf dieser Erde soll leiden. Einige von ihnen sind unsere Freunde, unsere Liebsten. Wir erfreuen uns nicht an ihrer Lage. Wir wollen, dass sie ihre Sünden bereuen und auferstehen und entrückt werden mit den Gerechten und die Rückkehr des Messias bejubeln. Und er wird kommen, um uns zu holen, oh ja, zweifelt nicht daran, er wird kommen.«
Zustimmung wogt durch die Halle.
Nach dem Gottesdienst rolle ich zwischen Gruppen von Männern, Frauen und Teenagern, die gekleidet sind wie Teenager überall, hindurch, die sich angeregt und mit geröteten Gesichtern unterhalten, während die Kleineren nach draußen ins Einkaufszentrum laufen.
»Willkommen«, sagt Krall, zieht sich einen Stuhl heran, setzt sich und ergreift meine Hand mit der Zuversicht eines Menschenfischers, eines begabten Redners, der auch zuhören kann. »Es ist wunderbar, neue Gesichter zu sehen. Sind Sie von hier? Leonard Krall.« Ich frage mich allmählich, wann er meine Hand wieder loslässt. »Die Leute nennen mich Len. Freut mich sehr.«
»Ich bin Penny«, lüge ich.
»Penny«, wiederholt er. Noch ein Druck, dann bekomme ich meine Hand zurück. Penny ist mir unterwegs eingefallen, eine |178| unsichere, religiöse Version der
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