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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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ich brauche, Gabrielle. Fahr nach Hause. Wir sehen uns, wenn wir uns sehen.« Es klingt beinahe flapsig, als hätte er das Recht, die Sache mit Humor zu nehmen. Aber das hat er nicht. Dann beugt er sich vor, als wollte er mich küssen. Ich drehe mich rasch weg. Was für einen Kuss |219| hatte er geplant? Einen freundlichen Schmatzer auf die Wange? Oder etwas Intimeres, um der alten Zeiten willen, nachdem er vor wenigen Stunden einer Blondine die Zunge in den Mund gesteckt hat?
    »Wie kannst du mir das antun?«, flüstere ich. Mein ganzer Oberkörper bebt. Der neue Ausdruck in seinem Gesicht, das Mitleid, ist ebenso erschreckend wie unmissverständlich.
    Er sagt: »Weil ich es muss.«
    Dann geht er durch die Tür und ist verschwunden, und meine Seele verdorrt.
    Nein, das muss er nicht. Er hat die Wahl.
     
    »Was hast du dir bei der Sache mit der Gabel in der Steckdose gedacht?«, schleudere ich Bethany entgegen, als ich zurückkomme. Ich lasse meinen Zorn auf den Physiker an ihr aus. Und wenn schon. »Du hättest sterben können. Sieh dich mal an.«
    »Spüre ich da etwa negative Emotionen?« Ein metallisches Grinsen blitzt auf.
    »Dann haben wir wohl die Rollen getauscht.«
    »Na gut, als Ihre Therapeutin würde ich sagen, Sie müssen Ihr Gleichgewicht wiedererlangen. Aber zuerst muss ich hier raus. Und Sie müssen mir dabei helfen.«
    Izgoj, izgoj.
»Du wirst hier rauskommen. Aber erst, wenn es so weit ist.«
    »Nach Kiddup, ja? Ach, kommen Sie! Jeder weiß doch, was da läuft. Da testen sie doch alles an einem. Das ist ein beschissenes Versuchslabor. Wenn ich nicht vorher ertrinke, werde ich dort sterben, das wissen Sie genau. Das dürfen Sie nicht zulassen. Und die große Sache passiert bald, das habe ich Ihnen doch erzählt. Am 12.   Oktober. Vielleicht auch früher. Nach dem Donner. Es baut sich schon auf, ich habe es gesehen. Nichts kann es verhindern.«
    Ich hole tief Luft. »Warum hast du Frazer Melville nichts davon erzählt?« Ich bringe seinen Namen kaum über die Lippen.
    |220| Sie zuckt mit den Schultern. »Nicht nötig. Er weiß es schon.«
    Ich werde rot. Natürlich tut er das. Ich fühle mich betäubt, verwirrt, belämmert. »Wie kannst du das wissen?«
    »Ich habe es in seinem Blut gespürt. Er und diese Frau   …«
    »Welche Frau?« Die Schärfe in meiner Stimme verrät mich, doch das ist mir egal.
    Sie lächelt ihr gemeines Lächeln. »Ich konnte sie an ihm riechen. Genau wie Sie.« Mir wird ganz flau, eine gähnende Leere tut sich in meinem Inneren auf. »Da läuft was. Und Sie sind außen vor.« Ein unerwünschtes Bild taucht auf: Die Frau hat die Beine hoch in die Luft gestreckt, darüber sein Oberkörper, sein Becken, das gegen sie stößt. Dann rollen sie sich herum, seine Hinterbacken zucken noch immer. Ein Hintern, den ich umklammert habe. Sie sitzt auf ihm, wiegt sich hin und her. Bethany verzieht theatralisch das Gesicht. »Mensch, Roller, immer mit der Ruhe. Ist ja der reinste Porno.«
    Ich kneife die Augen zu, um das Bild zu vertreiben. »Was passiert an diesem Ort, den du gezeichnet hast?«
    »Keine Ahnung. Fragen Sie ihn. Aber wir müssen uns in Sicherheit bringen.«
    »Und wo?«
    »Was weiß ich. Auf einem Berg. Sie müssen mir helfen.«
    »Ich werde mehr herausfinden. Ich tue mein Bestes.«
    »Allein? Schauen Sie sich doch an. Sie sind ein Spasti. Sie kennen niemanden. Man würde Ihnen sowieso nicht glauben. Das läuft genau wie mit Joy McConey.«
    Höre ich eine Drohung in ihrer Stimme, oder bilde ich mir das nur ein?
    »Ich bin nicht allein. Frazer Melville arbeitet auch daran«, sage ich. Meine Hoffnungslosigkeit ist deutlich zu hören. Sein Name steckt mir in der Kehle, als hätte ich etwas im Restaurant bestellt und es hinterher tief bereut. »Du musst ihm vertrauen.« Wieder diese Phrase. So unausgegoren, einfach zum Heulen. Ich bin auch kurz davor. Sie sieht mich an und schnaubt verächtlich.
    |221| »Herrgott, Sie sind ja völlig von der Rolle. Warum sollte ich ihm vertrauen, wenn Sie es schon nicht tun?«
    Darauf fällt mir keine Antwort ein. Außer zuzugeben, dass ein naiver und dickköpfiger Teil von mir das alles immer noch heftig leugnet. Eine furchtbare Wahrheit blickt mir ins Gesicht, und mir fällt nichts Besseres ein, als Nein zu sagen. Geh weg. Ich glaube dir nicht. Ich will nicht. Und werde nicht.
     
    Dr.   Sulieman hat mir einmal einen ebenso wirksamen wie schlichten Rat gegeben: im Zweifelsfall praktisch handeln. Ich beschließe, mich daran zu halten, weil

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