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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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ich gut damit gefahren bin. Als ich nach Hause komme, habe ich eine Mission.
    An dem Abend, an dem mich der Physiker wie einen Kartoffelsack zwei Stockwerke hinauf in sein Büro geschleppt hat und wir uns Bethanys Notizbücher angeschaut haben, betrachtete ich ihre Mondlandschaft mit Maschinen durch eine freudsche Brille. Nun aber fällt mir ein, dass der Physiker damals schon in eine völlig andere Richtung gedacht hat. Er sagte:
Für mich sieht das irgendwie nach Bergbau aus.
Wenn diese Interpretation nun der Wahrheit näher kommt als meine eigene instinktive Deutung? Man darf nicht vergessen, dass Therapeuten innerhalb desselben Schemas arbeiten wie Menschen, die Seifenopern schreiben. Angeblich hat Freud gesagt, manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre. Wenn die Zeichnung, die ich als eindringenden Penis gedeutet habe, der in einen horizontalen, unterwürfigen Körper ejakuliert, nun etwas völlig anderes wäre? Bethany hat eisige Temperaturen, ein Gerüst, eine Plattform, den Meeresboden und einen schlechten Geruch erwähnt. Nach was kann man unter Wasser bohren, das eiskalt ist?
    Ich mache Kaffee und schalte meinen Laptop ein. Nach wenigen Minuten stoße ich auf das Wort »Clathrat«. Es stammt vom lateinischen
clatratus
= vergittert. Ein Clathrat ist eine Einschlussverbindung aus zwei verschiedenen Arten von Molekülen. Interessant wird es bei den Gashydraten: hier bildet sich eine dünne |222| Eisschicht um ein Gasmolekül. Doch es ist nicht das fremd klingende Wort, das mich gefangen nimmt, sondern die dazugehörige Abbildung. Hier geht es um Förderung auf dem Meeresboden, und die Form des Gebildes erinnert mich an Bethanys Zeichnungen.
    Ein Sechseck.
    Als ich lese, was in diesen eisigen Sechsecken eingeschlossen ist, lege ich die Hand an den Hals. Er ist ganz heiß.
    Methan.
    Wann hat der Physiker die Verbindung zwischen Bethanys Zeichnungen und dem gefährlichsten Treibhausgas der Welt hergestellt? Es ist um ein Vielfaches schädlicher als Kohlendioxid, und es ist auf Millionen Quadratkilometer großen Flächen überall auf der Welt im Meeresboden eingefroren. Der Wasserdruck und die niedrigen Temperaturen schließen es dort unten ein. Ansonsten würde es in riesigen, styroporähnlichen Scheiben an die Oberfläche schießen und in Brand geraten. Es ist so flüchtig, dass es bis vor Kurzem nicht ernsthaft als Energiequelle in Betracht gezogen wurde. Es schien einfach zu gefährlich. Ich gebe noch einmal »Methan« als Suchbegriff ein, diesmal aber spontan in Verbindung mit »Katastrophe«.
    Die Ergebnisse gehen in die Tausende.
    Ich trinke einen Schluck Kaffee.
    Dann suche ich mir die verständlichsten Überschriften heraus und entdecke rasch, dass eine massive Katastrophe, die durch submarines Methangas verursacht wird, nicht nur theoretisch möglich ist, sondern im Verlauf der Erdgeschichte bereits dramatisch in Erscheinung getreten ist. Zweimal wurde in ferner Vergangenheit die Atmosphäre wie in einer Mikrowelle erhitzt, was zur Vernichtung der meisten Lebensformen führte. Einer der Hauptschuldigen war Methan. Die erste und schlimmste Katastrophe ereignete sich vor 250   Millionen Jahren am Ende des Perm. Die zweite extreme Erwärmung läutete das Paläozän-Eozän- Temperaturmaximum ein. Auf einen vagen Instinkt hin – und |223| weil es nach geologischen Maßstäben noch nicht so lange her ist – tippe ich diese abstruse Ära ein und füge das Wort »Forschung« hinzu.
    Nachdem ich mich durch Hunderte von Links gescrollt habe, stoße ich auf ein verblüffendes Foto. Es zeigt eine Geopaläontologin, eine Fachfrau für ebendiese PETM genannte Epoche, die umfangreiche Analysen an Foraminiferen durchgeführt hat, winzigen fossilen Krebstieren, die man in Bohrkernen aus der Meerestiefe fand. Auf dem Bild hält die Geopaläontologin, gekleidet in einen dicken Anorak und eine rote Wollmütze, einen großen weißen Klumpen in der ausgestreckten Hand, der an einen Schneeball erinnert. Einen Schneeball, der brennt. Die Flamme ist von einem reinen Orange mit blauen Rändern. Die Bildunterschrift lautet:
Gefrorenes Methan ist auch als brennendes Eis bekannt.
Die Wollmütze, aus der blonde Haarsträhnen lugen, verdeckt die linke Seite des Gesichts, aber man kann erkennen, dass der Anblick des lodernden weißen Klumpens ihr Vergnügen bereitet. Als wäre sie in ihn verliebt.
    Der Name der Geopaläontologin lautet Dr.   Kristin Jonsdottir. Sie ist Isländerin.
    Wenn ich an Island denke, was selten vorkommt,

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