Engel auf Abwegen
geschmackvoll gefärbtes, dunkelblondes Haar war zurückgekämmt und wellte sich perfekt unterhalb ihres Unterkiefers, ihr grauer Pullover und der dazu passende Rock verliehen ihr ein hartes Aussehen -, blinzelte ich lediglich vor Entsetzen darüber, was sie gesagt hatte, und versteifte mich, als mir bewusst wurde, dass sie recht hatte: Die plötzliche Fröhlichkeit der Damen wurde durch den mit einem Schuss Alkohol versehenen Tee verursacht, nicht durch Nikkis anziehende Persönlichkeit.
»Meine Güte, Mutter, du bist heute wirklich dramatisch.«
Noch ein Tipp: Nach Möglichkeit alles abstreiten.
»Wir haben nichts getrunken«, fügte ich hinzu.
Die Damen blickten plötzlich um sich, als fiele ihnen jetzt erst auf, dass sie in einem fremden Schrank standen und Sachen trugen, die in der JLWC nicht akzeptiert waren. Aber sie hatten Köpfchen.
»Ob wir etwas getrunken haben, Blythe?«, sagte Olivia. »Das ist doch Blödsinn.«
»Völliger Blödsinn«, kam Leticia ihr zu Hilfe.
Ich drapierte die rosa Federboa enger um meine Schultern. »Nikki, ein Kostümball wäre für den kommenden Herbst genau das Richtige. Das ist toll von dir, dass du daran gedacht hast.«
Es half, wenn man ziemlich schnell reagieren konnte, um aus einer brenzligen Situation herauszukommen. Gott sei Dank waren die anderen Frauen so schlau und stimmten mir zu. »Ja, ein Kostümball!«
Es war erbärmlich, dass eine Gruppe von erwachsenen Frauen zu schuldigen Schulmädchen degradiert wurde. Aber meine Mutter hatte so eine gewisse Art, und sie hatte in der Junior League einfach zu viel Macht, um das ignorieren zu können.
Als ein Anflug von Zweifel auf das perfekt geschminkte Gesicht meiner Mutter trat, nutzte die Gruppe diesen Moment aus. Sicher haben Sie noch nie fünf anständige Frauen gesehen, die sich mit Affengeschwindigkeit ihrer Kleidung entledigen und aus dem Zimmer rennen, ohne sich noch einmal umzudrehen und ein flüchtiges Dankeschön über ihre Schulter zu werfen.
Ehe wir uns versahen, standen ich, meine Mutter und Nikki Grout allein da. Auf das Gesicht meiner Mutter war anstelle von Zweifel Argwohn getreten. Ich erinnerte sie an die Zeit, als sie ganz sicher gewesen war, dass Daddy getrunken hatte. Dann stellte sich heraus, dass er in der
Scheune gewesen war, weil die Kuh eine Steißgeburt gehabt hatte. »Deine Nase ist nicht immer die verlässlichste.«
»Hm« war alles, was sie darauf erwiderte, dann wandte sie sich mit der überschwänglichen Geste eines verärgerten Despoten ab und verließ den Palast.
Ein Unglück war vereitelt worden. Nicht, dass ich nicht total sauer auf Nikki war. Den Tee mit Alkohol zu versetzen war schlimm genug, aber welche angesehene Dame lässt sich brasilianisch enthaaren und redet auch noch darüber?
Wenn »keine Rasur oberhalb des Knies« zu den Dingen gehört, die man nicht tut, so können Sie sich vorstellen, an welcher Stelle »keine Enthaarung im Intimbereich« steht. Es stand völlig außer Frage, dass eine anständige Frau auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendete.
»Das geht einfach nicht«, sagte ich lediglich und ging auf die Treppe zu.
»Frede! Es tut mir leid!« Nikki kam hinter mir hergerannt. »Ich war nervös und habe den Kopf verloren. Ich hätte den Tee nicht mit Alkohol versetzen dürfen.«
Ich ging weiter. Sie wusste nicht einmal, dass der Tee nur ein kleiner Teil des Problems war.
»Ich wollte nur, dass alle mich mögen!«
Ich hielt inne und drehte mich um. »Nikki, wann lernst du das endlich einmal: Je mehr du dich anstrengst, desto weniger mögen dich die Leute. Du hast dich immer schon viel zu sehr bemüht.« Fast war ich selbst über meine Offenheit erschrocken. Das lag wahrscheinlich am Tee.
»Ich bin nicht so perfekt wie du, Frede. Ich möchte einfach nur dazugehören.«
Gott sei Dank hatte ich meine böse Zunge wieder im Zaum. Ich verkniff mir, Nikki zu sagen, dass sie nie dazugehören
würde, zumindest nicht zu meiner Welt. Und dennoch versuchte ich es.
Ich ging die Treppe hinunter und sah einen äußerst böse aus der Wäsche schauenden Howard Grout, der im Vorraum stand.
»Wo, zum Teufel, sind die alle hin?«, brüllte er. Dann bemerkte er das tränenverschmierte Gesicht seiner Frau. »Was haben Sie meiner Nikki angetan?«
Da war er wieder, dieser Beschützerinstinkt, der merkwürdige Dinge mit mir anstellte und ein Gefühl des Wehmuts und der Leere in mir aufkommen ließ. »Ich habe ihr gar nichts angetan, Mr. Grout. Ich schlage vor, Sie
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