Engel aus Eis
kein Zufall gewesen sein. Und irgendwie muss es auch mit dem Mord an dem Norweger zusammenhängen.«
»So weit war ich auch schon. Aber wie? Und warum? Nach sechzig Jahren. Das verstehe ich einfach nicht.«
»Wir werden ihn fragen müssen. Falls wir hier jemals wieder rauskommen und ihn überhaupt in die Finger bekommen. Inzwischen ist er sicher unterwegs zu fernen Ländern«, sagte Paula niedergeschlagen.
»Vielleicht finden sie unsere Skelette erst in einem Jahr«, scherzte Martin, doch sein Humor fand keinen Anklang.
»Wenn wir Glück haben, bricht wieder ein Nachbarjunge ein«, erwiderte Paula trocken und erntete einen Ellbogen in der Seite.
»Mensch! Das ist gut!«, sagte Martin aufgeregt, während Paula sich den unteren Rücken massierte.
»Warum auch immer du das gemacht hast, ich hoffe, es hat sich gelohnt, eine meiner Nieren dafür zu opfern«, zischte sie wütend.
»Weißt du noch, was Per im Verhör gesagt hat?«
»Ich war nicht dabei, du hast ihn mit Gösta vernommen«, erinnerte sie ihn, doch ihr Interesse schien geweckt.
»Er hat erzählt, dass er durch ein Kellerfenster eingebrochen ist, als er hier war.«
»Wenn es hier ein Kellerfenster gäbe, wäre es nicht so dunkel«, schnaubte Paula skeptisch und blickte forschend zu den Wänden.
Martin stand auf und tappte zur Außenwand.
»Er hat es aber gesagt. Es muss Fenster geben. Vielleicht sind sie verhängt. Du hast selbst gesagt, dass die Sammlung hier unten ein Vermögen wert sein muss. Möglicherweise wollte Erik nicht, dass man seine Schätze von außen sieht.«
Nun erhob sich Paula ebenfalls. Als er an die gegenüberliegende Wand stieß, hörte sie ein »Aua«, doch als darauf ein »Aha!« folgte, fasste sie wieder Mut, und als Martin das dicke Stück Stoff von einem Fenster wegriss und plötzlich Tageslicht hereindrang, verwandelte sich die Hoffnung in ein Triumphgefühl.
»Hätte dir das nicht schon vor ein paar Stunden einfallen können?«, fragte sie bockig.
»Sei mir lieber dankbar, dass ich uns befreit habe!«, antwortete Martin fröhlich und öffnete das Fenster. Dann stellte er einen Stuhl direkt darunter.
»Ladies first!«
»Danke«, brummte Paula und schlängelte sich nach draußen.
Martin kletterte kurz darauf hinter ihr her. Einen Moment lang blieben sie regungslos stehen, um sich wieder an das gnadenloseTageslicht zu gewöhnen. Dann setzten sie sich in Bewegung. Sie rannten zur Haustür, mussten aber feststellen, dass sie abgeschlossen war, und diesmal lag kein Schlüssel auf dem Balken. Das bedeutete, dass ihre Jacken mit den Mobiltelefonen und dem Autoschlüssel drinnen eingeschlossen waren. Martin wollte sich gerade auf den Weg zum nächsten Nachbarn machen, als er es laut krachen hörte. Nachdem er sich erschrocken umgedreht hatte, sah er eine zufriedene Paula, die einen Stein in ein Fenster im Erdgeschoss geworfen hatte.
»Ich dachte mir, wenn wir durch ein Fenster rauskommen, kommen wir auf diesem Weg auch wieder rein.« Mit einem Ast entfernte sie die restlichen Glassplitter aus dem Rahmen und sah Martin herausfordernd an.
»Was ist los? Willst du Axel noch mehr Vorsprung geben oder hilfst du mir?«
Martin zögerte nicht eine Sekunde, sondern hievte seine Kollegin hinein und stieg hinterher. Jetzt ging es darum, Erik Frankels Mörder einzuholen. Axel hatte bereits einen viel zu großen Vorsprung. Und sie hatten noch immer viel zu viele unbeantwortete Fragen.
Er kam nur bis zum Flughafen Göteborg-Landvetter. Dort blieb er sitzen. Das Adrenalin, das durch seine Adern rauschte, als er die beiden Polizisten im Keller einsperrte, sein Gepäck in den Kofferraum warf und losraste, war verbraucht, und nun empfand er nur noch Leere.
Während ein Flugzeug nach dem anderen abhob, saß Axel ganz still da und starrte aus dem Fenster. Jedes davon hätte er nehmen können. Er hatte das Geld und die Kontakte. Er konnte verschwinden, wo und wie er wollte, denn er war so lange der Jäger gewesen, dass er genau wusste, wie sich ein Gejagter verstecken musste. Aber er wollte gar nicht. Zu diesem Schluss war er gekommen. Er konnte fliehen, aber er wollte nicht. Deswegen war er hier, im Niemandsland, sitzen geblieben, hatte die landenden und startenden Flieger beobachtet und darauf gewartet, dass ihn sein Schicksal am Ende einholte. Zu seinem Erstaunen war das kein so entsetzliches Gefühl, wie er geglaubt hatte. Vielleicht hatten diejenigen, die er gejagt hatte, etwas Ähnliches empfunden, wenn er eines Tages an ihre Tür
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