Engel aus Eis
einem verlangt wird, wenn man ein kleines Kind hat, und … ja … es ist nicht leicht, die Verantwortung allein zu tragen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich alle groben Arbeiten mache, ich schlage mir die Nächte um die Ohren, wechsle Windeln, spiele mit Ludde, füttere ihn und gehe mit ihm zum Arzt, wenn er krank ist. Aber wenn Leif anrauscht, wird er empfangen wie der Weihnachtsmann persönlich. Das ist so ungerecht.«
»Und zu wem rennt Ludde, wenn er sich weh getan hat?«
Karin lächelte. »Du hast recht, dann will er zu mir. Es bedeutet ihm also schon etwas, dass ich ihn all die Nächte herumgetragenhabe. Aber irgendwie … fühle ich mich manchmal so betrogen. So hatte ich mir das jedenfalls nicht vorgestellt.« Seufzend zog sie Luddes Mütze wieder über beide Ohren.
»Für mich war alles viel schöner, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.« Als er Karins bohrenden Blick sah, begriff Patrik, dass er etwas Dummes gesagt hatte.
»Sieht Erica das genauso?«, fragte sie scharf, und nun wusste er, worauf sie hinauswollte.
»Nein, das tut sie nicht. Jedenfalls bis jetzt nicht.« Patriks Magen krampfte sich zusammen, als er daran dachte, wie blass und freudlos Erica in Majas ersten Monaten ausgesehen hatte.
»Könnte das daran liegen, dass sie aus ihrem Erwachsenenleben herausgerissen wurde und mit Maja zu Hause bleiben musste, während du jeden Tag zur Arbeit gehen durftest?«
»Ich habe doch geholfen, so gut ich konnte«, protestierte Patrik.
»Geholfen vielleicht.« Als sie die schmale Straße erreichten, die nach Badholmen führte, überholte Karin ihn. »Es macht einen riesigen Unterschied, ob man nur mithilft oder ob man für alles verantwortlich ist. Es ist nicht leicht herauszufinden, wie man einen schreienden Säugling beruhigt, wann und was er essen sollte und wie man sich und das Kind mindestens fünf Tage in der Woche beschäftigt – und zwar meistens ohne die Gesellschaft anderer Erwachsener. Es liegen Welten zwischen dem Geschäftsführer im Unternehmen Baby und dem Handlanger, der daneben steht und die Befehle abwartet.«
»Du kannst den Vätern aber nicht die alleinige Schuld geben«, schnaufte Patrik, während er den Kinderwagen den steilen Hügel hinaufschob. »Ich habe oft den Eindruck, dass die Mütter nicht die Kontrolle an die Väter abgeben wollen. Man wickelt das Kind falsch, man hält das Fläschchen nicht richtig und so weiter. Es ist also gar nicht so einfach für die Väter, sich an der Rolle des Geschäftsführers zu beteiligen, von der du sprichst.«
Karin schwieg eine Weile. Dann sah sie Patrik an. »Findest du, dass Erica sich so verhalten hat, als sie mit Maja zu Hause war? Hat sie dich nicht machen lassen?« Sie wartete ruhig seine Antwort ab.
Nach gründlichem Nachdenken musste Patrik zugeben: »Doch, das hat sie. Es war eher so, dass ich froh war, nicht die Hauptverantwortung zu tragen. Wenn Maja traurig war und ich sie trösten wollte, war es schön zu wissen, dass ich sie jederzeit an Erica hätte übergeben können, wenn ich es nicht hinbekommen hätte. Und natürlich war es angenehm, morgens zur Arbeit zu gehen. Abends habe ich mich immer auf Maja gefreut.«
»Weil du dir deine Dosis Erwachsenenwelt abgeholt hattest«, erwiderte Karin. »Wie läuft es denn jetzt? Nun trägst du doch die meiste Verantwortung. Funktioniert das?«
Patrik überlegte und schüttelte den Kopf. »Bis jetzt habe ich mich im Erziehungsurlaub nicht mit Ruhm bekleckert, wenn man das so sagen darf. Aber es ist auch nicht leicht. Erica arbeitet ja zu Hause, und sie weiß, wo die Sachen sind und …«
»Das kenne ich. Jedes Mal, wenn Leif nach Hause kommt, schreit er: Karin! Wo sind die Windeln? Manchmal frage ich mich, wie ihr eigentlich an euren Arbeitsplätzen zurechtkommt, wenn ihr euch zu Hause nicht einmal merken könnt, wo die einfachsten Dinge liegen.«
»Jetzt hör aber auf.« Patrik knuffte Karin in die Seite. »So schlimm sind wir nun auch wieder nicht. Schenk uns wenigstens ein bisschen Nachsicht. Noch in der Generation vor uns haben die Männer ihre Kinder kaum gewickelt, und ich finde, wir sind schon ziemlich weit gekommen. Das lässt sich nicht alles in null Komma nix umstellen. Unsere Väter waren schließlich unsere Vorbilder, sie haben uns geprägt. Es braucht Zeit, die Dinge zu verändern, aber wir tun unser Bestes.«
»Du vielleicht.« Wieder lag der bittere Unterton in Karins Stimme. »Aber Leif nicht.«
Patrik antwortete nicht. Was hätte er auch sagen
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