Engel aus Eis
sollen? Nachdem sie sich an der Kreuzung in Sälvik beim Segelclub Norderviken getrennt hatten, war er bedrückt und nachdenklich. Lange hatte er Karin für alles, was sie ihm angetan hatte, die Pest an den Hals gewünscht. Doch nun tat sie ihm wahnsinnig leid.
Nach dem Anruf stürzten sie zum Dienstwagen. Mellberg murmelte wie üblich irgendeine Entschuldigung und hastete in seinZimmer, aber Martin, Paula und Gösta fuhren durch die Affärsgatan zum Oberstufenzentrum von Tanum. Sie waren instruiert worden, sich sofort ins Sekretariat zu begeben, und da es nicht ihr erster Besuch in der Schule war, hatte Martin keine Probleme, den kürzesten Weg dorthin zu finden.
»Was ist passiert?« Er sah sich im Zimmer um, in dem ein mürrischer Jugendlicher auf einem Stuhl saß und vom Rektor und zwei weiteren Männern, vermutlich Lehrern, flankiert wurde.
»Per hat einen unserer Schüler zusammengeschlagen«, sagte der Schulleiter scharf und ließ sich auf dem Schreibtisch nieder. »Gut, dass Sie so schnell kommen konnten.«
»Wie geht es dem Schüler?«
»Es sieht ziemlich schlimm aus. Die Schulschwester ist bei ihm, und der Notarzt ist unterwegs. Ich habe Pers Mutter angerufen, sie muss gleich hier sein.« Er warf dem Jungen einen zornigen Blick zu, woraufhin dieser ein gelangweiltes Gähnen von sich gab.
»Wir müssen dich mitnehmen.« Martin bedeutete Per, dass er sich zu erheben hatte, und wandte sich wieder an den Rektor. »Versuchen Sie, seine Mutter zu erreichen, bevor sie hier eintrifft. Sonst schicken Sie sie bitte gleich zu uns in die Dienststelle. Meine Kollegin Paula Morales wird hierbleiben und die Zeugen verhören.«
Paula nickte.
»Ich fange gleich damit an.« Sie verließ den Raum.
Als Per hinter den Polizisten durch den Flur schlenderte, gab er sich noch immer gleichgültig. Eine größere Anzahl von neugierigen Schülern hatte sich versammelt, und Per reagierte auf die Aufmerksamkeit, indem er ihnen grinsend den Stinkefinger zeigte.
»Idioten«, murmelte er.
Gösta blickte ihn streng an. »Du hältst den Mund, bis wir in der Dienststelle sind.«
Per fügte sich achselzuckend. Auf dem Rest des kurzen Weges zu dem flachen Polizeigebäude, in dem sich auch die Feuerwehr befand, starrte er schweigend aus dem Fenster.
Als sie ankamen, setzten sie ihn allein in ein Zimmer und warteten das Eintreffen seiner Mutter ab. Plötzlich klingelte Martins Telefon. Er hörte sich interessiert an, was der Anrufer zu sagen hatte, und wandte sich mit nachdenklichem Gesichtsausdruck an Gösta.
»Das war Paula. Weißt du, wer das Opfer ist?«
»Jemand, den wir kennen?«
»Allerdings. Mattias Larsson, der die Leiche von Erik Frankel gefunden hat. Er befindet sich auf dem Weg ins Krankenhaus. Ihn können wir also erst später vernehmen.«
Gösta nahm die Nachricht kommentarlos auf, doch Martin sah, dass er ganz blass wurde.
Zehn Minuten später kam Carina angehetzt und erkundigte sich am Empfangstresen atemlos nach ihrem Sohn. Ruhig wies Annika ihr den Weg zu Martins Zimmer.
»Wo ist Per? Was ist passiert?« Sie sprach mit einem Kloß im Hals und war spürbar aufgelöst. Martin gab ihr die Hand und stellte sich vor. Formalitäten und feste Rituale besänftigten oft die Gemüter. So auch in diesem Fall. Carina wiederholte ihre Frage in einem gedämpfteren Tonfall und setzte sich dann auf den Stuhl, den Martin ihr hinschob. Als er sich hinter dem Schreibtisch niederließ und einen nur allzu bekannten Geruch wahrnahm, verzog er angewidert das Gesicht. Eine Fahne. Dieser Duft war einzigartig und leicht wiederzuerkennen. Vielleicht war sie gestern Abend auf einer Party gewesen, doch das glaubte er nicht. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Aufgelöstes und leicht Verquollenes, ein typisches Merkmal von Alkoholikern.
»Per ist wegen Körperverletzung festgenommen worden. Laut dem Bericht der Schule hat er auf dem Schulhof einen Klassenkameraden verprügelt.«
»O mein Gott.« Sie klammerte sich an die Armlehnen. »Wie …? Und der andere …« Sie konnte den Satz nicht beenden.
»Er wird ins Krankenhaus gebracht. Offenbar hat Per ihm ziemlich zugesetzt.«
»Aber warum?« Sie schluckte und schüttelte den Kopf.
»Das möchten wir auch wissen. Wir haben Per in ein Verhörzimmer gesetzt und würden ihm mit Ihrer Erlaubnis gerne ein paar Fragen stellen.«
Carina nickte. »Selbstverständlich.«
»Nun, dann werden wir uns mal mit Per unterhalten.« Martin verließ den Raum vor Carina. Im Flur blieb er stehen und klopfte
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