Engel der Finsternis (German Edition)
trauern.“ Er deutete auf den Grafen und die Kammerfrauen. Aber die Gräfin hatte nur Augen für ihren eigenen Körper, der reglos auf dem Katafalk lag. Er wurde geschmückt mit getrockneten Blumen, die Hände über der Brust gefaltet und zwischen den dürren Fingern ein mit Edelsteinen verziertes Kreuz. Die Schrecken der Geburt standen Katharina ins Gesicht geschrieben, als sie sich selbst dort sah. Aber bereits im nächsten Moment spürte sie Zorn auf sich selbst. Dieser Körper, in dem sie gelitten hatte, war nichts als eine tote Hülle. Sie würde zerfallen und in wenigen Jahren nicht mehr vorhanden sein. Sie selbst aber, ihre Seele würde gezwungen sein, auf ewig weiter zu existieren. Nicht im Jenseits, sondern in dieser armseligen Welt. Ohne Aussicht auf Frieden und Ruhe.
Über Agreas` Gesicht huschte ein Lächeln, als er sah, wie sich ihre Züge verfinsterten. Die Gräfin wusste um die eigene Schuld an ihrem Schicksal. Doch niemand konnte ewig sich selbst anklagen. Also tat sie, was alle verdammten Seelen früher oder später machten. Sie klagte jene an, denen sie die Schuld gab an ihrer eigenen Sündhaftigkeit. Im Falle Katharinas ging es schneller als erwartet. Vielleicht auch deshalb, weil sie gewohnt war, dass man ihr jeden Wunsch erfüllte, ohne ihn laut aussprechen zu müssen. Und insgeheim hatte sie darauf gehofft, von den Menschen auf Burg Waldenfels gerettet zu werden. Doch nun sah sie nicht nur, wie hilflos Hieronymus der Bosheit von Agreas ausgeliefert war, sondern musste ebenso erkennen, dass man gar nicht daran dachte, für ihr Seelenheil zu beten. Die völlig verängstigten Menschen in der Kapelle wollten allesamt nur selbst gerettet werden. Was aus ihr wurde, interessierte sie offensichtlich nicht mehr, auch wenn sie so taten, als wäre dem nicht so.
Im Fall von Konrad war es sogar noch schlimmer. Während er betete, warf er einem Bauernmädchen lüsterne Blicke zu. Nicht einmal im Angesicht des Todes und in Gegenwart von Dämonen konnte er seine Wollust unterdrücken. Katharina war fassungslos. Niemand schien zu merken, was er tat. Keiner interessierte sich dafür. Mit Ausnahme dieses Bauernmädchens, das mit unverhohlener Freude seine Blicke erwiderte.
„Ihr Name ist Walburga. Du selbst hast sie deinem Mann ins Bett gelegt“, sagte Agreas in einem spöttischen Tonfall.
„Ich kenne sie nicht!“
„Denk nach! Erinnerst du dich an Franziska?“ Agreas deutete auf Franzi. „Sie ist die Schwester von Walburga. Du hast sie heute Morgen gesehen. Sie hatten Streit.“
„Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Aber ich habe sie nicht zu meinem Mann geschickt!“
„Natürlich nicht, das hat Franzi getan. Sie wusste, dass Walburga deinen Mann begehrt. Als du im Kindbett gelegen hast, hat sie die Gelegenheit ausgenutzt und ihre Schwester zu Konrad geschickt.“
„Und während ich verblutet bin, hat er …“
„Auf Walburga gelegen“, vollendete Agreas den Satz und warf einen raschen Blick auf Meresin. „Und nun will sie deinen Platz einnehmen.“ Katharina starrte ihn ungläubig an. „Es liegt allein bei dir, das zu verhindern.“
„Was muss ich tun?“
„Wenn es soweit ist, wirst du es erfahren. Jetzt möchte ich, dass du mit den anderen Frauen ins Dorf gehst …“
7. Kapitel
„Und wenn ich nicht möchte?“ Walburgas Stimme klang weinerlich und trotzig zugleich.
„Jetzt stell dich nicht so an!“, fauchte ihre Mutter. „Willst du, dass man uns wie räudige Hunde aus der Burg jagt?“
„Wir könnten uns doch verstecken“, schlug Walburga vor.
Heidrun hatte genug davon. „Du kommst jetzt mit! Er wird dich heute sicher nicht mehr zu sich rufen. Hab einfach etwas Geduld. Du siehst doch, wie er dich anstarrt. Willst du das alles verderben?“
„Aber Mutter …“, protestierte Walburga, „… hier in der Burg sind wir sicher vor dem Wilden Heer. Im Dorf jedoch …“
Heidrun wollte nichts weiter hören. Sie packte Walburga am Arm und zog sie zu der kleinen Kapellentür, vor der sich die Menschen drängten. Keiner wollte der Erste sein, der das Gotteshaus verließ.
Noch immer wehte ein eiskalter Nordwind dicke Schneeflocken heran. Der Himmel hatte sich weiter verfinstert. Ohne Fackeln würden die Bauern den Heimweg nicht mehr antreten können. Der Graf wies seinen Gutsverwalter an, ihnen einige verrußte Holzscheite zu geben und sie so schnell wie möglich aus der Burg zu schaffen. Obwohl er nach außen hin so tat, als hätten ihn die Vorfälle in der Kapelle nicht
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