Engel der Finsternis (German Edition)
Müdigkeit. Einer nach dem anderen fiel in einen unruhigen Schlaf.
Balam betrat zusammen mit der Gräfin Grimberts Haus. Katharina sah sich in der armseligen Behausung um und verzog angewidert das Gesicht. Als sie noch lebte, hatte sie nie einen Fuß in eines dieser Häuser gesetzt. Ihr hatte es schon gereicht, wenn diese stinkenden, schmutzigen Gestalten ihr auf Schritt und Tritt auf Burg Waldenfels begegnetet waren. Sie hatte nie wissen wollen, wie und wo sie lebten. Darum hatte sich der Gutsverwalter gekümmert. Das ging sie nichts an. Nun stand sie vor den drei Bauern, die in schmutzige Lumpen gehüllt beim Feuer lagen und sich im Schlaf hin und her wälzten und stöhnten. Sie fühlte weder Mitleid noch Bedauern, nur Wut. Voller Hass blickte sie auf Walburga.
„Halte dich zurück!“, warnte Balam Katharina. „Heute Nacht gehört sie mir. Sieh nur zu. Sie darf nicht merken, dass du hier bist.“
Katharina nickte. „Was hast du vor?“
Balam antwortete nicht. Er trat neben Walburga und ließ die Federn seiner Flügel langsam über ihr Gesicht gleiten. Walburga fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und drehte sich um. Balam senkte erneut seine Schwingen über sie. Da schlug sie die Augen auf und hielt erschrocken den Atem an.
„Fürchte dich nicht!“, sagte Balam mit der tiefen, sanften Stimme eines Engels. „Ich bin Balam, dein Schutzengel. Ich bin gekommen, um dich zu beschützen.“
Walburga blickte auf Heidrun und Grimbert, beide schliefen tief und fest.
„Sie werden nicht merken, dass ich hier bin. Nur du kannst mich sehen und hören.“ Balam streckte eine Hand nach ihr aus.
Walburga legte zögernd ihre Hand in die seine und erhob sich. Sie sah sich im Haus um. Alles war wie zuvor, nur die Kälte konnte sie nicht mehr spüren und der ganze Raum war erfüllt von einem überirdisch schönen, bläulichen Licht, das von Balam auszugehen schien. Seine Hand war angenehm warm. Als er sie zu sich heranzog, konnte sie den verführerischen Duft riechen, der von seinem Körper ausging. Er trug ein prachtvolles grünes Hemd und einen erdfarbenen Mantel, der sich wie Samt anfühlte. Walburga war geblendet von seiner Erscheinung und wagte kaum zu sprechen. Nie zuvor hatte sie die Schwingen eines Engels gesehen.
„Du kannst sie gerne berühren.“ Balam konnte an ihrem Gesicht ablesen, was in Walburga vorging. Er drehte sich ein wenig zur Seite, damit sie die Federn besser sehen konnte. Mit den großen, staunenden Augen eines Kindes näherte sie sich Balam, bis ihr Gesicht beinahe die Flügel berührte. Ihre Fingerspitzen berührten die Federn, fühlten den zarten Flaum und den festen Knochen darunter. Walburga war wie geblendet von der überirdischen Schönheit des vermeintlichen Himmelswesens. Doch dann nahmen ihre Augen einen trüben Glanz an und um ihre Mundwinkel spielte ein eigenartiges Lächeln. Balam nahm es befriedigt zur Kenntnis.
„Du bist wirklich mein Schutzengel?“ Walburga glaubte zu träumen.
„Ich bin gekommen, um dich vor dem Wilden Heer zu beschützen.“ Balam machte eine kurze Pause. Zufrieden stellte er fest, dass die Erwähnung der nachtfahrenden Weiber Walburga einen gehörigen Schrecken einjagte. Zweifellos dachte sie an das, was sich wenige Stunden zuvor in der Kapelle zugetragen hatte. Sie ließ die Hand sinken und sah ihn an wie jemand, der gerade eben aller seiner Illusionen beraubt worden ist. „Du brauchst dich nicht zu fürchten. Solange du unter meinem Schutz stehst, werden die Weiber nicht wagen, dir etwas anzutun. Ich habe die Macht, sie von dir und den deinen fern zu halten.“
Walburga sah sich ängstlich und mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck um. Von draußen drang ein gespenstischer Lärm ins Haus. Obwohl sie gerade eben noch geblendet gewesen war von der Pracht und Herrlichkeit des Engels, schien sie seinen Worten nicht ganz zu trauen.
„Du wunderst dich, warum ich nicht schon in der Kapelle zu dir gekommen bin?“
Walburga wagte nichts zu erwidern. Sie sah ihn nur fragend an und rieb unablässig ihre Hände an dem schmutzigen Kleid ab.
„Ich war in der Kapelle. Dort konnte dir nichts geschehen. Aber hier bist du den Weibern schutzlos ausgeliefert, wenn ich nichts unternehme.“
Walburga zuckte zusammen, als sie das Brüllen einer Kuh vom Nachbargehöft hörte.
Balam lächelte. „Sie werden es nicht wagen, eure Tiere zu verhexen. Sie können mich sehen.“
„Sie sehen dich?“ Ängstlich trat sie einen Schritt zurück. „Wo sind
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