Engel der Finsternis (German Edition)
verständnislos und gleichzeitig überrascht an. „Das kann er doch nicht.“ Sie hatte immer geglaubt, dass die Geistlichen sich in solchen Dingen auskennen würden. Und nun musste sie feststellen, es Dinge gab, von denen auch sie nicht die geringste Ahnung hatten.
„Warum?“
„Weil Gott sie dazu verurteilt hat, im Wilden Heer mitzuziehen. Die Seele der Gräfin wird nie das Paradies sehen.“
„Das hat der Engel dir gesagt?“
„Ja!“
„Franzi, stimmt das wirklich oder hast du das nur geträumt?“
„Ihr müsst mir glauben! Ich schwöre beim Seelenheil meiner Mutter, es ist nicht gelogen! Ich bitte Euch, ich …“
„Beruhige dich, mein Kind!“, beschwichtigte Hieronymus die junge Frau vor sich, die vollkommen verängstigt war. „Hat der Engel sonst noch etwas gesagt? Hat er erwähnt, wie wir uns gegen das Wilde Heer verteidigen können?“
„Er hat nur gemeint, wir sollen keine Angst haben und fest auf Gott vertrauen. Dann hat er mich zu Euch geschickt. Meresin sagte, ihr würdet mich beschützen und mir beistehen, wenn die Weiber wiederkommen, um mich zu holen.“
„Um dich zu holen? Warum sollten sie dich holen wollen?“
„Ich weiß es nicht“, schluchzte Franzi verzweifelt. „Die Gräfin hasst mich, weil der Graf …“ Sie brach ab und bedeckte ihre Augen mit den Händen.
Hieronymus sprach eine kurze Segensformel und zeichnete mit den Fingern ein Kreuz auf Franzis Stirn. „Ich werde dich beschützen“, versprach der Kaplan mit fester Stimme und drückte das weinende Bauernmädchen an sich. „Dein Schutzengel hat dich zu mir geschickt. Ich werde auf dich aufpassen. Dir wird nichts geschehen. Vertraue mir!“
Er hielt Franzi in seinen Armen und blickte über die Schulter zurück auf den Leichnam der Gräfin, von dem er nun wusste, dass es nicht mehr war, als eine entseelte, leblose Hülle.
„Franzi?“, begann der Kaplan erneut, als ihm ein Gedanke kam. Er hielt sie an den Schultern und sah ihr fest ins Gesicht. „Hat der Engel dir gesagt, dass wir die verdammte Seele der Gräfin vernichten können?“
„Was meint Ihr?“
„Hat Meresin gesagt, dass wir die verdammte Seele bannen können, indem wir den Körper der Gräfin verbrennen?“
Verwirrt schüttelte Franzi den Kopf und versuchte sich zu erinnern. „Nein. Meresin hat nichts dergleichen erwähnt. Er sagte nur, allein der feste, unerschütterliche Glaube an Gott vermag uns zu schützen. Sonst nichts.“
„Nun sage mir, wie hat Meresin die Gräfin vertrieben? Wie hat er dich gerettet?“
„Er hat die Gräfin gepackt und ihr befohlen, sie solle … verschwinden. Daraufhin ist sie gegangen und nicht wiedergekehrt.“
„Und Meresin?“
„Er hat mich zu Euch geschickt. Ich sollte Euch erzählen, was geschehen ist und mich Eurer Obhut anvertrauen.“
Ihr Gespräch fand ein abruptes Ende, als die Tür sich öffnete und der Graf in der Kapelle erschien. Er trug einen dicken Pelz über den Schultern und eine Fellmütze gegen die Kälte.
Obwohl die Sonne schon seit Stunden am Himmel stand, wollte es nicht warm werden. Es war ein herrlicher Wintertag. Nichts deutete darauf hin, dass erst wenige Stunden zuvor an diesem Ort schreckliche Dinge geschehen waren. Man konnte fast glauben, die Natur wollte die verängstigten Menschen beruhigen und ihnen Mut und Trist spenden. Zum ersten Mal seit Tagen schneite und stürmte es nicht. Der Himmel war klar und blau. Nur die eisige Kälte und der festgefrorene Schnee, der alles bedeckte, erinnerten an die heftigen Winterstürme der letzten Wochen.
Konrad ließ die Tür weit offen stehen, damit der beißende Qualm abziehen konnte. Hustend kam der Graf näher und fuchtelte sich mit der Hand vor dem Gesicht herum.
„Wie haltet ihr es bloß in diesem lichtlosen Verschlag aus? Öffnet wenigstens die Läden.“ In dem Moment erkannte er Franzi, die hinter den Kaplan getreten war, und verstummte. Schweigend betrachtete er sie und dachte an die letzte Nacht und daran, dass sie miterlebt hatte, wie er sich vor der Gräfin erniedrigt und selbst gedemütigt hatte. Natürlich wanderten seine Gedanken auch zu dem Missgeschick, welches ihm in seiner Angst zugestoßen war. Allein die Vorstellung, sie könnte mit dem Kaplan darüber geredet haben, machte ihn wütend.
„Genau nach dir habe ich gesucht!“ Mit einer Hand winkte er Franzi, die ihn verängstigt beobachtete, zu sich. „Nach allem, was geschehen ist, wird es wohl besser sein, wenn du ab sofort bei mir bleibst. Ich werde
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