Engel der Finsternis (German Edition)
in dieser Gestalt. Das, was er gesehen hatte, war die Frau gewesen, die er zuletzt im Kindbett gesehen hatte - blutverschmiert und schweißbedeckt. Konrad streckte vorsichtig die Hand nach dem Leichnam aus.
„Berührt sie ruhig! Sie wird Euch nichts anhaben.“ Wie um seine Worte zu bekräftigen, drückte der Kaplan die Brust des Leichnams. Konrad riss die Augen auf, zögerte kurz und machte auf dem Absatz kehrt.
Hieronymus ließ den Leichnam los. Er wartete, bis der Graf die Kapelle verlassen hatte, dann sank er neben dem Leichnam auf die Knie und begann zu beten. „Oh Herr, beschütze uns vor dem Übel!“
„Was für ein Übel?“, fragte Walburga und drehte Franziska den Rücken zu. Sie war zur Arbeit in der Küche eingeteilt worden, was ihr sehr gelegen kam. Dass jedoch ihre Stiefschwester hier auftauchen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Eigentlich ging sie davon aus, die Weiber hätten sich um die Angelegenheit in der letzten Nacht gekümmert. „Wovon redest du überhaupt?“
Franzi konnte es kaum glauben, dass Walburga ihre Warnung einfach in den Wind schlagen wollte. „Ich meine die Gräfin!“. Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. „Ich war dabei, als sie in der letzten Nacht im Gemach des Grafen erschienen ist und ihm gedroht hat. Sie wird jede Frau töten, die sich dem Grafen nähert. Ich habe selbst gehört, wie sie gesagt hat, dass sie …“
„Das hat dir gegolten“, meinte Walburga desinteressiert. „Warum sollte ich mir also Sorgen machen?“
„Was redest du denn da?“ Franzi war fassungslos und versuchte weiter, auf ihre Schwester einzureden. „Sie hat gesagt …“
„Das geht mich nichts an! Und jetzt lass mich in Ruhe!“ Walburga ging an den Küchentisch und begann, die Möhren zu schneiden. Sie legte eine Möhre vor sich auf den Tisch, nahm ein Messer in die Hand und zerteilte sie. Dabei achtete sie aber nicht darauf, was sie tat, sondern schielte hinüber zu dem Schrank, auf dem die Krüge mit den Gewürzen standen. Einen Augenblick später ließ sie mit einem Aufschrei das Messer fallen und steckte sich den blutenden Finger in den Mund. „Sieh nur, was du getan hast! Wegen dir habe ich mich in den Finger geschnitten!“
„Walburga, bitte glaube mir, ich möchte doch nur nicht, dass dir etwas zustößt.“
Ihre Schwester schnaufte unwillig und drückte ihre schmutzige Schürze gegen die heftig blutende Wunde an ihrem Finger. „Mir wird ganz sicher nichts geschehen“, erwiderte sie hasserfüllt und stieß Franzi beiseite. „Ich brauche deine Hilfe so wenig wie deine Ratschläge. Verschwinde endlich! Nicht ich, DU bist diejenige, die sich in acht nehmen sollte.“
Franzi blickte Walburga ratlos hinterher. Sie wusste, dass sie unbedingt den Grafen für sich gewinnen wollte und nichts unversucht lassen würde, erneut mit ihm zusammen zu kommen. Und sie war fest davon überzeugt, dass die Gräfin ihre Schwester töten würde, wenn sie Walburga im Bett des Grafen antreffen sollte. Sie musste ihre Stiefschwester unbedingt davon abhalten, sich dem Grafen zu nähern.
Darum folgte Franziska ihr zu den Wassereimern und versuchte es erneut. „Walburga! Bitte, hör mich an! Du warst nicht dabei, als die …“
„Natürlich war ich nicht dabei!“ Walburga war es leid, mit ihrer Schwester zu reden. Am liebsten hätte sie ihr die Wahrheit geschrien. Aber es befanden sich zu viele Frauen und Männer um sie herum, die sie ohnehin schon neugierig beobachteten und die Ohren spitzten. Niemand durfte je erfahren, dass sie einen Pakt mit dem Wilden Heer geschlossen hatte. Balam hatte ihr eingeschärft, sie durfte darüber mit niemandem ein Wort wechseln und auch nicht darüber, was zwischen ihnen vorgefallen war.
Sie betrachtete Franzi und überlegte einen flüchtigen Moment, ob es wirklich so war, dass ihre verhasste Schwester einen Schutzengel hatte. Einen wie Balam. Hatte sie sich etwa auch einem Engel hingegeben? War sie deswegen gerettet worden?
Balam hatte ihr versichert, das Wilde Heer würde Franziska mit sich nehmen. Nach allem, was sie an diesem Morgen in der Burg gehört hatte, waren die Weiber auch im Gemach des Grafen gewesen. Die Gräfin hatte Franziska wohl mitnehmen wollen. Aber dann tauchte dieser andere Engel auf.
Es gab also mehrere Engel. Davon hatte Balam nichts erzählt. Schon gar nicht davon, dass ausgerechnet Franziska einen Schutzengel hatte. Walburga war davon ausgegangen, sie wäre an diesem Morgen ihre Schwester endlich los und würde
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