Engel der Finsternis (German Edition)
…“
„Franzi bleibt bei mir!“
„Was sagst du da?“ Konrad sah den Kaplan verwundert an. Niemand würde sich seinem Wort widersetzen, auch nicht der Geistliche.
„Ich sage, Franzi steht ab sofort unter meinem Schutz.“
„So, sagst du das? Und ich sage …“
„Der Engel hat es so befohlen. Ihr wisst doch, der Engel, der Euch vor eurer verstorbenen Gemahlin gerettet hat, als Ihr hilflos am Boden lagt und …“
„Schweig gefälligst!“ Voller Zorn starrte der Graf Franziska an. Sie hatte dem Kaplan also tatsächlich von dem Missgeschick erzählt. „Und du …“, er wies mit dem Finger auf Franziska, „… lass uns allein!“
Hieronymus legte Franzi eine Hand auf den Kopf und streichelte ihr sanft über das Haar. „Geh, mein Kind, und mache dir keine Sorgen. Ich werde dich beschützen.“
Kaum hatte die Bauernmagd die Kapelle verlassen, fuhr Konrad den Geistlichen an. „Versprich nichts, was du nicht halten kannst, alter Mann! Was hat sie gesagt?“
„Die Wahrheit“, antwortete der Kaplan herausfordernd und drehte dem Grafen demonstrativ den Rücken zu. Niemand außer ihm hätte es riskiert, Konrad so stehen zu lassen. Doch Hieronymus wusste, dass der Graf nach den Vorfällen der letzten Nacht es nicht wagen würde, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Er war nur gerettet worden, weil der Schutzengel des Bauernmädchens eingegriffen hatte. Der Graf war kein besonders gottesfürchtiger Mann, aber er glaubte wie alle anderen auf Burg Waldenfels fest an die Existenz Gottes und des Teufels. Und ebenso glaubte er an die nachtfahrenden Weiber. Das hatte er schon getan, bevor ihm seine verstorbene Frau erschienen war. Nun stand er vor ihr und hatte Mühe, zu verbergen, was in ihm vorging.
Erst vor wenigen Stunden hatte ihm eben diese Frau, deren Körper reglos auf dem Katafalk lag, den Fuß an die Kehle gesetzt und ihn beinahe erstickt. Konrad war sich im Klaren darüber, dass es nicht seine Frau gewesen war, die ihn am liebsten ermordet hätte. Es war ihre Seele gewesen. Und das hatte ihm Angst gemacht. Den Leib konnte man töten, die Seele nicht.
„Sie hat dir von der Gräfin erzählt?“
„Franziska hat mir von der verdammten Seele Eurer Gemahlin erzählt. Was Ihr gesehen habt, war nicht mehr Eure Frau.“
„Also hat sie gesündigt“, schlussfolgerte Konrad und fühlte sich in seinem Verdacht bestätigt, dass sie ihn hintergangen haben musste. „Sie hat sich gegen mich und Gott versündigt.“
„Wer seid Ihr, Euch auf eine Stufe mit Gott zu stellen? Sie hat sich gegen Gott vergangen, aber nicht gegen Euch.“
„Was willst du damit sagen?“
„Nichts, was ich Euch sagen könnte.“
„Ich bin dein Herr!“
„Ich gehorche einem höheren Herrn! Nur ihm bin ich Rechenschaft schuldig.“
„Ich will wissen, was Franzi dir erzählt hat.“
„Die Wahrheit!“
Konrad hätte sich am liebsten auf den Kaplan gestürzt und ihn auf der Stelle enthauptet. Er wusste etwas, das er dem Grafen vorenthalten wollte, weil es ihm Macht über ihn gab. Und Konrad konnte absolut nichts dagegen tun. Hieronymus sah den Grafen herausfordernd an.
„Franzi steht unter meinem Schutz, weil es der Engel so gewollt hat. Er ist ein Bote Gottes, wenn Ihr Euch seinem Willen widersetzt, spottet Ihr dem Herrn.“
Konrad stand einen Moment unschlüssig vor dem Kaplan und überlegte, was er tun sollte. Er war versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen und ihn anzuspucken. Aber nach dem, was er erlebt hatte, war er nicht mehr sicher, ob er sich so etwas wirklich erlauben konnte.
Hieronymus nutzte sein Zögern und ging hinüber zum Leichnam der Gräfin. Mit versteinerter Miene schaute er auf die Gräfin hinab und wandte sich dann wieder dem Grafen zu. Demonstrativ legte er seine Hand auf die linke Brust der Gräfin. „Sie ist tot. Dies ist ihre leblose Hülle. Ihr entseelter Leib. Er war die ganze Nacht in dieser Kapelle. Das, was ihr gesehen habt, war ihre unsterbliche Seele. Kommt her und fühlt selbst! Dieser Körper ist ohne Leben. Kalt und hart.“
Konrad trat zu seiner Frau heran. Er sah das wächserne Antlitz, die verkrümmten, starren Finger und das sorgfältig gekämmte, blonde Haar. Nichts erinnerte an die furchteinflößende Erscheinung der letzten Nacht. Diese dürren, knochigen Hände hatten nicht nach ihm gegriffen. Er sah an dem Leichnam hinab. Die Füße waren verborgen unter einem kostbaren, bestickten Leintuch. Sein Blick glitt über ihren Körper. Diese Frau hatte ihn heimgesucht, aber nicht
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