Engel der Finsternis (German Edition)
wollen, ehe die Weiber sie in die Finger bekamen. Aber wohin konnte er sie bringen? Wo war sie sicher vor ihm und den Weibern? An welchem Ort konnte sich ein Mensch vor ihm verbergen?
Oder wollte Meresin mit Franzi zusammen fliehen? Das war kaum vorstellbar, und doch sah es so aus. Er schien diese Bauernmagd tatsächlich zu lieben. Und dadurch wurde sie zu einer Bedrohung für alle Dämonen. Wenn Meresin ihr nicht nur das Geheimnis ihrer wahren Natur offenbarte, sondern ihr auch anvertraute, wie man sie bannen und sogar vernichten konnte, wären sie ihr nicht mehr gewachsen. Sollte dieses Mädchen einem Mann wie Hieronymus ihr Wissen mitteilen, würden sie, die Jäger, zu Gejagten werden, zu Freiwild. Einer leichten Beute für jeden, der genug Mut besaß, ihnen gegenüberzutreten. Das durfte auf keinen Fall geschehen.
Agreas wusste, er würde Meresin nie finden, wenn dieser nicht gefunden werden wollte. Es sei denn, das Mädchen machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ihr musste Agreas eine Falle stellen und sie irgendwie aus ihrem Versteck locken.
Ein lauter Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Es war Walburga. Sie wurde gerade von einem Soldaten die Treppe hinab gezerrt.
Eine Magd kam in das Gemach der Gräfin gelaufen und erzählte aufgeregt den anderen Frauen von dem, was im Saal geschehen war. „Sie wollen sie foltern und ersäufen! Walburga ist mit den Weibern im Bunde und hat den Dämon herbeigerufen.“
Die Frauen bekreuzigten sich hastig.
„Heilige Muttergottes!“
„Um Himmelswillen!“
„Oh mein Gott!“
Agreas fletschte die Zähne zu einem diabolischen Grinsen. Diese schwatzhaften Weiber würden ihm helfen, Franzi aus dem Wald zu locken. Sie würden dafür sorgen, dass sich die Nachricht von Walburgas Schicksal in Windeseile verbreitete. Egal, wo Meresin das Mädchen auch versteckt hielt, sie würde davon erfahren. Und so wie er sie einschätzte, würde sie es nicht übers Herz bringen, ihre Schwester im Stich zu lassen.
Franzi saß in einer Höhle tief im Wald und wischte sich die Tränen von den Wangen. Das Feuer, das Meresin entzündet hatte, erzeugte keinen Rauch. Es brannte nicht wie andere Feuer, leuchtete in einem hellen, bläulich schimmernden Licht und verbreitete eine wohltuende Wärme. Franzi spürte weder die Kälte der Winternacht noch die Feuchtigkeit der Steine, auf denen sie Platz genommen hatten - ganz im Gegenteil. Die Steine fühlten sich warm und trocken an. Sie wollte gar nicht wissen, wie er das gemacht hatte. Noch immer hatte sie die Bilder vor Augen, wie er den Engel verbrannt hatte. Auf dieselbe Art und Weise hatte er gerade eben das Feuer entzündet. Erst danach war der Dämon verschwunden und Meresin wieder aufgetaucht. Und nun stand er vor ihr in der vertrauten Gestalt und versuchte ihr zu erklären, was sich ereignet hatte.
„Balam hat meine Gestalt angenommen, um dich zu verführen. Er wusste, du würdest dich keinem anderen hingeben.“
Franzi blickte beschämt zu Boden. Sie erinnerte sich, wie sie auf dem Bett gelegen hatte, bereit den Engel zu empfangen, den sie für Meresin gehalten hatte, und der in Wahrheit ein Dämon war. Aber noch schlimmer als die Scham über das, was sie im Gemach der Gräfin beinahe getan hatte, war die Erkenntnis, dass auch Meresin ein Dämon war. Wenn es denn überhaupt Meresin war, der da vor ihr stand. Sie sah ihn fragend an und schwieg.
„Du glaubst mir nicht, habe ich recht? Du denkst, Meresin ist tot und ich bin ein Blender. So ist es doch?“ Franzi brachte kein Wort heraus und blieb stumm. „Du willst nicht glauben, dass ich Meresin bin, und denkst, Meresin ist ein Engel und ich eine Ausgeburt der Hölle, die nur seine Gestalt angenommen hat und dich nun zu täuschen versucht. Wenn es so ist, wieso töte ich dich dann nicht auf der Stelle? Warum stehe ich hier und erzähle dir all das?“
Franzi konnte Meresin nicht länger ansehen, ohne an das denken zu müssen, was sie erlebt hatte. Sie hatte das Knacken gehört, als der Dämon die Flügel des Engels gebrochen hatte. Seine Schreie hallten noch in ihren Ohren, als er verbrannte. In dem Moment war ein Teil von ihr mit ihm gestorben. Nun stand er wieder vor ihr und redete mit Franzi, so wie er es immer getan hatte. Wie konnte sie ihm glauben? Der Engel, den sie gekannt hatte, wäre nie in der Lage gewesen, mit solcher Brutalität ein anderes Lebewesen zu ermorden. Aber warum verschonte er sie? Sie wusste keine Antwort auf diese Frage.
„Geh!“, sagte Meresin
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